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Rede der Vorsitzenden

Im Anschluss an den Vortrag von Herrn Filges ergreife ich die Gelegenheit, um im Rahmen des öffentlichen Teils unserer Mitgliederversammlung einige Punkte anzusprechen, die auch außerhalb des Kreises unserer Mitglieder Gehör finden sollten.

Wir sind Herrn Dr. Filges nicht nur deshalb zu Dank verpflichtet, weil er überhaupt bereit war, sich der Mühe eines Referats zu unterziehen, sondern vor allem auch wegen des von ihm gewählten Themas.

So wie der Beruf des Rechtsanwalts einem starken Wandel ausgesetzt war und noch immer mit stets neuen Anforderungen ist, so gilt dies auch – wenn auch vielleicht nicht in demselben Umfange und mit derselben Geschwindigkeit – für die Tätigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften.

Alle, die bereits einige Jahre im Rahmen der Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaften gearbeitet haben, werden rückschauend feststellen, dass sich ihr Arbeitsalltag mehr oder weniger erheblich gegenüber früheren Zeiten verändert hat.

Es hat sich vieles, wenn auch manchmal vielleicht nur unerheblich, verändert – manches ist allerdings auch noch immer unverändert (so regnet es noch immer durch das Dach des Oberlandesgerichts, und manche Büroausstattung würde jeder Ausstellung über die Einrichtung in den 50-er Jahren zur Ehre gereichen), aber die Veränderungen sind doch überall festzustellen: moderne oder modernisierte Gerichtsgebäude, ausgestattet mit neuer Technik und modernen Büromöbeln – zu denen nur die Zugang haben, bei denen die neue Technik installiert wird. Aber nicht nur diese Äußerlichkeiten sind als Veränderung wahrzunehmen, vielmehr hat sich auch unsere Tätigkeit verändert:

Immer noch ist es die Aufgabe der Staatsanwälte, Straftaten zu verfolgen, immer noch ist es die Aufgabe der Gerichte, die bei ihnen eingehenden Rechtsstreitigkeiten zu bearbeiten, aber es geht in vielem unkomplizierter und effektiver zu, und – wenn wir nicht einer groben Selbsttäuschung unterliegen – die Justiz ist ein Stückchen bürgerfreundlicher geworden, weil sie sich stark darum bemüht, für den rechtsuchenden Bürger nicht nur eine möglichst zügige und richtige Entscheidung zu treffen, sondern ihm diese auch so gut wie möglich verständlich zu machen.

Die zahlreichen Gerichtsshows erschweren uns dies allerdings, denn sie sind zumeist in der Darstellung des Gerichtsalltags so weit von der Wirklichkeit entfernt, dass der Bürger ein falsches Bild von der Justiz bekommt. Nur durch persönlichen Einsatz in der Umsetzung des Rechts in jedem Einzelfall – sei es als Staatsanwalt bei der Vertretung einer Anklage in der Hauptverhandlung, sei es als Richter in den Verhandlungen – haben wir die Möglichkeit, den Bürger - sei er Angeklagter oder Partei - sowie die Anwälte und eine eventuell anwesende Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass uns die Dinge des Rechts am Herzen liegen und dass wir mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten den "Kampf ums Recht" führen.

Ich betone dies deshalb, weil man in letzter Zeit den Eindruck gewinnen konnte, als sei die Justiz zum Prügelknaben der Nation geworden. Wann immer eine Entscheidung nicht gefiel – aus welchen Gründen auch immer –, griff man zu mehr oder weniger groben Worten der Kritik, leider allzu oft, ohne ausreichend ermittelt zu haben, weshalb die Entscheidung so ergangen war.

Diese Art von inzwischen fast üblich gewordener pauschaler Justizschelte – zuletzt in besonders deutlicher Weise durch den Bremer Bürgermeister Scherf – weist der Hamburgische Richterverein mit Nachdruck zurück.

Wir wenden uns dabei nicht gegen die kritische Beleuchtung unserer Arbeit, ganz im Gegenteil: Denn nur eine kritische Auseinandersetzung kann zur Beseitigung eventueller Missverständnisse und zur Beseitigung eventueller Fehler und Missstände führen. Wir fordern vielmehr eine sachliche Auseinandersetzung und einen fairen Umgang mit der Justiz ein. Diese Mahnung richtet sich vor allem an die Medien, denen oft, zu oft, eine tolle Schlagzeile, ein Bericht über Justizskandälchen oder über das, was die Presse dafür hält, wichtiger ist als die sachliche Information der Öffentlichkeit. Allerdings gibt es glücklicherweise auch das andere: die gut recherchierte Berichterstattung über Justizprobleme und über den Gerichtsalltag.

Der Hamburgische Richterverein hat immer wieder versucht, so weit sich dazu die Gelegenheit bot, die Bedeutung einer unabhängigen Justiz zu verdeutlichen. Es erscheint auch immer wieder notwendig, diese besondere Stellung der Justiz im Rahmen der Gewaltenteilung zu betonen und sie herauszustellen.

Die eindeutige Trennung der Justiz von Exekutive und Legislative und die Freiheit der Justiz von Übergriffen dieser beiden staatlichen Gewalten ist kein alter historischer Zopf, sondern notwendige Voraussetzung für ein funktionsfähiges Gemeinwesen.

Gerade angesichts der Enthüllungen über schwarze Kassen, falsche Rechenschaftsberichte und über sonstige Verquickungen von staatlichen Aufgaben und politischer Betätigung sollte die Bedeutung einer weisungsunabhängigen Justiz in all ihren Ausprägungen von allen Vertretern der Exekutive und Legislative als wichtig anerkannt und akzeptiert werden.

Die letzten Monate haben im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung mehr Schaden angerichtet als möglicherweise allgemein in der Öffentlichkeit und insbesondere bei den Vertretern der Politik angenommen wird.

Die Erhaltung einer arbeitsfähigen, leistungsstarken und unabhängigen Justiz liegt im Interesse des gesamten Staatswesens. Deshalb liegt es auch im Interesse aller, die Justiz mit den personellen und sachlichen Mitteln auszustatten, die ihr auch weiterhin die Beachtung dieser Grundsätze ermöglicht.

Wir verkennen nicht, dass die angespannte Haushaltslage es schwer macht, die Justiz von Sparmaßnahmen auszunehmen, und wir erkennen in diesem Zusammenhang auch die Verdienste der Senatorin an, der Justiz nach Möglichkeit stets noch Schlimmeres zu "ersparen".

Es ist – und insofern komme ich zum Anfang meiner Ausführungen zurück – nicht zu verkennen, dass auch der Beruf des Richters und Staatsanwalts einem Wandel unterworfen ist. Wir sind, was den Strukturwandel in der Justiz anlangt, nicht reformunwillig, sondern offen für Gespräche über die Möglichkeiten solcher Veränderungen hinsichtlich der Arbeitsabläufe, soweit solche Veränderungen eben mit den zuvor geschilderten Anforderungen an innere und äußere Unabhängigkeit für die Arbeit der Richter und Staatsanwälte zu vereinbaren sind. An diesen Grundsätzen muss jede betriebswirtschaftliche Bewertung unserer Arbeit ihre Grenze finden.

Die der Justiz zugewiesenen Aufgaben ergeben sich aus dem gesetzlich festgelegten Auftrag: Richter und Staatsanwälte sind bei der Erfüllung dieser Aufgaben an Gesetz und Recht – und nichts anderes – gebunden. Dies bedeutet zugleich: Betriebswirtschaftliche Erkenntnisse – mögen diese zur Kostenkalkulation aus haushaltstechnischen Gründen wichtig und bedeutsam sein – können Richter und Staatsanwälte von diesem verfassungsrechtlich festgelegten Auftrag nicht entbinden und mithin auch nicht zum Bewertungsmaßstab ihrer Arbeit gemacht werden.

Wir wenden uns auch nicht aus Bequemlichkeit oder Starrsinn gegen gesetzliche Reformvorhaben, aber wir fordern eine rechtzeitige, umfassende Unterrichtung und die Möglichkeit zu offenem Diskurs über gesetzliche Neuerungen. Nur wenn die Belange der Justiz rechtzeitig mit in die Diskussion eingebracht werden können, erscheint uns die Gewähr für sachgerechte Veränderungen gegeben.

Es muss doch – so glaube ich immer, vielleicht etwas naiv – möglich sein, im offenen Gedankenaustausch die uns alle gemeinsam berührenden und zum Teil auch bedrückenden Probleme zum Wohle einer funktionsfähigen Justiz mit dem Ziele der Erhaltung einer qualifizierten und hochwertigen Rechtsprechung zu erörtern und auch konsensfähig zu lösen.

Ein solch offener Umgang miteinander setzt zum einen den Willen voraus, wirklich gemeinsam zum Wohle des Ganzen zu arbeiten, zum anderen aber auch gegenseitiges Vertrauen in die Gutwilligkeit der Argumentation jedes Gesprächspartners. Vertrauen kann aber nur auf der Grundlage umfassender rechtzeitiger und zutreffender, d.h. vollständiger Information entstehen und im Rahmen einer ständigen Unterrichtung gedeihen.

Wir wünschen uns deshalb von allen Beteiligten ein offenes Gespräch über die Dinge, die die Justiz bewegen, und meinen, dass dann die Entscheidungen gefunden werden können, die sachgerechte und angemessene Veränderungen für die Justiz bringen.

Zu diesem offenen Umgang gehört auch als Selbstverständlichkeit der Meinungsaustausch mit Vertretern der Exekutive und der Legislative ohne jede Berührungsangst.

Der Hamburgische Richterverein tritt nachdrücklich für einen solchen offenen Diskurs mit allen politischen Kräften, seien sie in der Legislative oder Exekutive vertreten, ein und bietet sich als Forum für die Auseinandersetzung über justizpolitische Fragen in allen Bereichen an. Wir meinen, dass die Justiz nur an Ansehen gewinnen kann, wenn Richter und Staatsanwälte Vertretern der Legislative und Exekutive Einblick in ihre Arbeit und in ihre Arbeitsweise geben, um dadurch das Verständnis für die besondere Bedeutung einer unabhängigen Justiz zu verstärken und einem berechtigten Informationsinteresse zu entsprechen.

Lassen Sie mich die vorstehenden Ausführungen in einem Satz zusammenfassen:

Die Probleme, die zukünftig von der Justiz zu bewältigen sind, sind sicherlich schwerwiegend und müssen mit langfristiger Planung getroffen werden. Dies wird aber nur dann erfolgreich gelingen, wenn wir alle gemeinsam vertrauensvoll und konstruktiv die vor uns liegenden Aufgaben in Angriff nehmen.

 

Dr. Inga Schmidt-Syaßen