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Richtlinien
für die Erprobung und Beförderung

– Thesen des Hamburgischen Richtervereins –

Wie allgemein bekannt, arbeitet die Justizbehörde seit längerem an dem Entwurf von Richtlinien über die Ernennung und Beförderung von Richterinnen, Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten. Die Diskussion über den Inhalt dieser Richtlinien findet zur Zeit noch ohne Beteiligung der zur Mitwirkung an Abordnungsentscheidung berufenen Personalvertretungen der Gerichte und Staatsanwaltschaften und ohne Beteiligung der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Berufsverbände statt. Wir halten dieses Verfahren nicht für glücklich, weil es verhindert, dass frühzeitig der in den Personalvertretungen und in den Berufsverbänden vorhandene Sachverstand in die Diskussion eingebracht wird.

Wie sinnvoll dies gewesen wäre, hat uns ein erster Entwurf der Richtlinien gezeigt, der in den MHR Nr. 4/1999 veröffentlicht worden ist. Er ist in wesentlichen Abschnitten durch einen praxisfernen Formalismus geprägt und in seiner Tendenz auf eine letztlich nicht überprüfbare Entscheidung der Ministerialverwaltung über die Abordnungsreihenfolge zugeschnitten, während Mitwirkungsrechte der Personalvertretungen und anderer Gremien dort überhaupt nicht vorkommen.

Zwar ist die Justizbehörde dem Vernehmen nach von einzelnen Regelungen dieses Entwurfs inzwischen abgerückt; die dort erkennbar gewordenen Tendenzen veranlassen uns jedoch jetzt, bevor ein neuer Entwurf in die Welt gesetzt wird, unsere grundsätzliche Position zum Verfahren der Erprobung zu formulieren:

  1. Das Verfahren der Abordnungen zur Erprobung muss für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte transparent sein.

  2. Diese Transparenz wird einerseits dadurch erreicht, dass für das Abordnungsverfahren Regeln bestehen, die von den Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten akzeptiert werden, und sie wird andererseits dadurch gesichert, dass die Personalvertretungen an der Vorbereitung der Abordnungsentscheidungen mitwirken und die an der Abordnung beteiligten Dienststellen die für eine Erprobungsabordnung in Betracht kommenden Kandidatinnen und Kandidaten möglichst frühzeitig über eine in Aussicht genommene Erprobungsabordnung informieren.

  3. Grundsätzlich soll jeder Richterin, jedem Richter, jeder Staatsanwältin und jedem Staatsanwalt die Gelegenheit zur Erprobung gegeben werden, sofern sie dies wünschen.

  4. Die Reihenfolge, in der Kandidatinnen und Kandidaten zur Erprobung abgeordnet werden, soll nicht starr nach Dienst- und/oder Lebensalter bestimmt werden; vielmehr muss die Auswahl maßgeblich nach Leistungsgesichtspunkten geschehen.

  5. Die Erprobung findet in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der Regel beim Oberlandesgericht, in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Regel beim Oberverwaltungsgericht und in der Staatsanwaltschaft in der Regel bei der Generalstaatsanwaltschaft statt.

  6. Daneben sollen sogenannte "Ersatzwege" zugelassen werden, die jedoch im einzelnen im Voraus definiert werden müssen. Dies ist besonders für die Staatsanwaltschaft wichtig, weil Erprobungsstellen bei der Generalstaatsanwaltschaft in ausreichender Zahl nicht zur Verfügung stehen werden.

Zur Erinnerung:

Anfang der 80-er Jahre berief der damalige Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts, der in Personalunion auch Präsident des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts war, für die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Arbeitsgruppe "Erprobung und Beförderung" ein, an der u.a. die Richterräte der beteiligten Gerichte und die gewählten Präsidialratsmitglieder beteiligt waren. Diese Arbeitsgruppe hat in der Folgezeit ein Regelwerk für die Erprobung und Beförderung erarbeitet, das Ende 1983 auch der damaligen Justizsenatorin übermittelt worden ist und in der Folgezeit in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit die wesentliche Grundlage für die Erprobungsabordnungen bildete. Eine wesentliche Neuerung trat allerdings in Bezug auf die Mitwirkungsrechte des Richterrats durch die Neufassung des Hamburgischen Richtergesetzes im Jahre 1991 ein, ohne dass im übrigen die Grundsätze für die Erprobungsabordnung dadurch berührt wurden.

Wir veröffentlichen deswegen das Beratungsergebnis der Arbeitsgruppe "Erprobung und Beförderung" im folgenden mit Ausnahme der inzwischen überholten Regelung über die Beteiligung der Richterpersonalvertretungen, weil wir der Auffassung sind, dass die damals aufgestellten Regeln für das Verfahren der Abordnung auch heute noch transparent, in der Sache vernünftig und praxisgerecht sind.

Der Hamburgische Richterverein wird jede neue Regelung sehr kritisch darauf überprüfen, ob sie den im Beratungsergebnis der Arbeitsgruppe "Erprobung und Beförderung" gesetzten Standards entspricht.

Hamburg, 28. Februar 2000

Der Vorstand
des Hamburgischen Richtervereins

 

Beratungsergebnis
der Arbeitsgruppe
"Erprobung und Beförderung"

Die nachstehenden Grundsätze als Ergebnis der Beratungen der Arbeitsgruppe "Erprobung und Beförderung" sollen einen Beitrag zur Fortentwicklung einer Verwaltungspraxis bei der Auswahl von Richtern für Beförderungsämter leisten und dazu dienen, die Transparenz dieser Praxis in der Richterschaft zu fördern.

  1. Zur Feststellung der Eignung eines Richters für ein Beförderungsamt ist grundsätzlich eine Erprobung erforderlich. Die Bewährung in der normalen Tätigkeit im Eingangsamt reicht in aller Regel nicht aus.

  2. Die Erprobung soll für ein Beförderungsamt in der ordentlichen Gerichtsbarkeit durch eine Abordnung an das Hanseatische Oberlandesgericht und für ein Beförderungsamt in der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch eine Abordnung an das Hamburgische Oberverwaltungsgericht erfolgen.

  3. In geeigneten Fällen kann die Erprobung auch in einem "Ersatzweg" geschehen. Welche Tätigkeiten anstelle der Erprobung beim Obergericht die Eignung für ein Beförderungsamt begründen, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Es empfiehlt sich nicht, die Ersatzwege abschließend festzulegen. In Betracht kommen insbesondere Tätigkeiten als

  4. a) wissenschaftliche Hilfskraft beim Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht,

    b) Referent in den Abteilungen "Justizgesetzgebung und Justitiariat" und "Verfassungs-, Staats- und Verwaltungsrecht; Rechtsprüfung" des Justizamts sowie gleichwertigen Referaten der Justizbehörde,

    c) Referent in einem der Tätigkeit zu b) gleichwertigen Aufgabengebiet im Bundesjustizministerium oder einer anderen Ministerialverwaltung des Bundes oder eines Landes.

    Vor einer Beförderung sollte der Bewerber eine mehrjährige nicht länger als 5 Jahre zurückliegende Tätigkeit als Richter ausgeübt haben. Bei der Feststellung der Eignung können im Einzelfall – je nach der Art des Beförderungsamtes – zusätzlich sonstige Umstände von Bedeutung sein, z.B. eine tatsächliche Ausübung des Vorsitzes in einem Spruchkörper während eines längeren Zeitraumes oder einer Bewährung in über die Spruchrichtertätigkeit hinausgehenden, der Justiz dienenden besonderen Aufgaben.

  5. Grundsätzlich soll jedem Richter, der eine Erprobung wünscht, die Gelegenheit dazu gegeben werden. Die Erprobung soll möglichst frühzeitig geschehen. Die Zahl der Erprobungen soll nicht durch die zu erwartenden Beförderungsmöglichkeiten begrenzt werden.

  6. Die Reihenfolge, in der die Richter zu Erprobung herangezogen werden, ist nicht starr nach Dienst- und/oder Lebensalter zu bestimmen. Die Auswahl hat maßgeblich nach Leistungsgesichtspunkten zu geschehen. Die bisher gezeigte Qualifikation und die Art der jeweils für eine Besetzung in Frage kommenden Beförderungsstellen (mittelfristige Personalplanung) sind zu berücksichtigen. Dabei sind den Richtern des Landgerichts und der Amtsgerichte gleiche Chancen einzuräumen. Bei der Reihenfolge der Heranziehung zur Erprobung soll daher auch die Stärke der jeweiligen Jahrgänge (Dienst- und Lebensalter) in den Gerichten berücksichtigt werden.

  7. Die Dauer der Erprobung soll in der Regel beim Oberlandesgericht sechs Monate und beim Oberverwaltungsgericht neun Monate betragen. Je nach Lage des Einzelfalls kann sie von Anfang an oder während der Erprobungszeit verlängert werden. Dabei sind die Gegebenheiten in der Erprobungsstelle und besondere Umstände in der Person des abgeordneten Richters angemessen zu berücksichtigen.

  8. Eine Erprobung soll nur in besonders begründeten Ausnahmefällen abgekürzt werden.

  9. Die Erprobungsstellen sollen nicht ausgeschrieben werden. Jedoch soll in regelmäßigen, höchstens dreijährigen Abständen das Interesse der Richter an einer Erprobung durch schriftliche Umfragen ermittelt werden.

  10. Die Richter sind über die Grundsätze des Erprobungs- und Beförderungsverfahrens zu unterrichten. Zu diesem Zweck wird eine Mitteilung dieser Entschließung an die Richter vorgeschlagen. Zur Erläuterung und zur Beantwortung von Nachfragen sollen die Präsidenten und Präsidialrichter zur Verfügung stehen.

  11. Über die in Vollzug der Grundsätze getroffenen Einzelfallentscheidungen unterrichten die Präsidenten die betroffenen Richter ihres Geschäftsbereiches in der ihnen jeweils als geeignet erscheinenden Art und Weise.