(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/00) < home RiV >

Gesetz zur Reform des
Zivilprozesses

Referentenentwurf, Stand:23. Dezember 1999

Bereits in MHR 4/1999, S. 28 ff., konnte ich einige Gedanken zur beabsichtigten Reform (der Rechtsmittel) des Zivilprozesses vortragen. Zwischenzeitlich hat das BMJ einen Referentenentwurf fertiggestellt, der die bisher vorgelegten relativ unverbindlichen Überlegungen in die Sprache der konkreten Norm kleidet. Der folgende Überblick soll eine erste Vorstellung bringen (kursive Zitate stammen aus der Entwurfsbegründung), versehen mit wenigen wertenden Anmerkungen (auf solche Änderungen/Streichungen, die nicht unmittelbar die Konzentration auf die erste Instanz und das Rechtsmittelverfahren betreffen, z.B. § 105 Abs. 3 GVG, wird wegen des beschränkten Raumes nicht eingegangen). Die Sachdiskussion in den Gremien der Justizbeteiligten muß nun auf breiter Basis geführt werden, wenn Einfluß genommen werden soll.

Der Entwurf beginnt mit den Änderungen des GVG, die die zweitinstanzliche Zuständigkeit der Landgerichte begründen. Dazu werden die §§ 72, 100 und 104 aufgehoben. Berufungen und Beschwerden gegen amts- und landgerichtliche Entscheidungen werden demnach zukünftig einheitlich von den Oberlandesgerichten behandelt, § 119 Abs. 1 soll dementsprechend lauten:

"Die Oberlandesgerichte sind in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Berufung und der Beschwerde, ... (folgt Einschränkung für FGG-Sachen)."

"Das Oberlandesgericht wird damit zum alleinigen Rechtsmittelgericht der zweiten Instanz." (S. 95). Komplettiert wird diese Systematik durch die Änderung des § 133 für den BGH:

"In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist der Bundesgerichtshof zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel:

  1. der Revision gegen die Endurteile der Oberlandesgerichte
  2. der Sprungrevision gegen die Endurteile der Amtsgerichte und Landgerichte
  3. der Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte."

Damit wird weitgehend die faktische Dreistufigkeit im Zivilprozess eingeführt, es ist weitgehend belanglos, ob ein Prozeß seinen Anfang beim Amts- oder Landgericht nimmt (§§ 23, 71 Abs. 1 GVG), Berufung (zum OLG) und Revision (zum BGH) sind in beiden Fällen grundsätzlich möglich. Es dürfte dann der erste Schritt zur organisatorischen Zusammenlegung dieser Gerichte getan sein.

In der ZPO schlägt sich diese Neustrukturierung zunächst in den Vorschriften über die Rechtsmittel nieder, aber auch in Vorschriften über das Verfahren, mit denen die beabsichtigte Konzentration auf die erste Instanz realisiert werden soll.

Zunächst wird die allgemeine Berufungsgrenze im § 512 Abs. 1 E (bisher § 511a Abs. 1) von DM 1 500,-- auf DM 1 200,-- [Î 600,--] herabgesetzt. Ist diese Wertgrenze überschritten, kann die Berufung durch Einreichung der Berufungsschrift beim Berufungsgericht (sc.: OLG) eingelegt werden (§ 519 Abs. 1 E), und zwar binnen einer Notfrist von einem Monat (§ 517 Abs. 1 E). Berufungsgründe sind binnen zwei Monaten ab Zustellung des Urteils vorzutragen (§ 520 Abs. 1, 2 E), entweder muß die (angefochtene) Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruhen, oder nach § 531 Abs. 2 E zuzulassende neue Angriffs- und (gemeint wohl: oder) Verteidigungsmittel müssen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 E). Soweit ist noch nichts revolutionär Neues zu erkennen.

Die eingelegte und begründete Berufung bedarf dann aber der Annahme durch das Berufungsgericht (§ 522 Abs. 1 E). Dazu heißt es in § 522 Abs. 2 Satz 1 E:

"Die Berufung ist anzunehmen, wenn

  1. diese statthaft und in der gesetzlichen Form eingelegt und begründet ist und
  2. ein Annahmegrund vorliegt, weil

  1. die Berufung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder
  2. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat."

Nach Satz 2 dieser Vorschrift liegt ein Annahmegrund vor, wenn dem Berufungskläger für das Berufungsverfahren PKH bewilligt oder die Berufung von der ersten Instanz zugelassen wurde – dies soll auf Antrag möglich sein, wenn die Berufungssumme nicht erreicht ist, aber "die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat" (§ 512 Abs. 2 Satz 2 E). "Grundsätzliche Bedeutung wird eine Rechtssache ... nicht nur haben, wenn die Klärung einer noch nicht entschiedenen Rechtsfrage über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist, sondern auch dann, wenn das erstinstanzliche Urteil in einer Rechtsfrage, auf deren Entscheidung das Urteil beruht, von einer obergerichtlichen Entscheidung abweicht und Anlass besteht, die Rechtsfrage einer Klärung zugänglich zu machen." (S. 126).

Hier ist zu hinterfragen, wo denn die wirkliche Verbesserung liegt. Geht es dem Mandanten nur darum, schnell sein Geld zu bekommen, verbessert sich nichts, soweit es sich um den täglichen Routinefall handelt, der nur selten grundsätzliche Fragen aufwirft. Soll durch Einklagung eines Teilbetrages günstig eine Grundsatzfrage geklärt werden, können die Parteien jetzt noch mehr Geld sparen, denn sie brauchen für den Weg zum BGH nicht mehr die Grenze von DM 10 000,- zu überschreiten, sondern nur noch DM 1 201,- einzuklagen mit Folge niedrigerer Einnahmen für Gerichte und Anwälte.

§ 522 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe a) E "trägt dem Gedanken der Einzelfallgerechtigkeit Rechnung. (Die Berufung) ist nur dann abzulehnen, wenn das Vorbringen des Berufungsklägers – gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung der Berufungserwiderung und der Replik – Rechtsfehler materiellrechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art auch aufgrund einer mündlichen Verhandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht aufzudecken vermag (rechtliche Erfolgsaussicht) oder neue Angriffs- und (!) Verteidigungsmittel entweder nicht zuzulassen oder im Falle ihrer Zulässigkeit nicht entscheidungserheblich sind (tatsächliche Erfolgsaussicht)." (S.138). Andernfalls ist sie anzunehmen.

§ 531 Abs. 1 E stimmt mit § 528 Abs. 3 ZPO überein. § 531 Abs. 2 E lautet wie folgt:

"Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

  1. einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
  2. infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
  3. im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.

Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt."

Damit wird zugleich § 529 Abs. 1 E konkretisiert, der den zweitinstanzlichen Prüfungsumfang wie folgt umschreibt:

"Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung des Berufungsgerichts sind:

  1. die vom Gericht des ersten Rechtszugs fehlerfrei festgestellten Tatsachen;
  2. bereits im ersten Rechtszug vorgebrachte Tatsachen, soweit deren Feststellung vom Gericht des ersten Rechtszugs rechtsfehlerhaft unterlassen worden ist;
  3. neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist."

Nach Abs. 2 sollen Verfahrensfehler, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, nur geprüft werden, soweit sie in der Berufungsbegründung geltend gemacht wurden.

"Die Überprüfung der erstinstanzlichen Urteile soll sich auf die Fehlerkontrolle und die Fehlerbeseitigung konzentrieren. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, das Berufungsgericht grundsätzlich an die fehlerfrei gewonnenen Erkenntnisse der ersten Instanz zu binden ..." (S. 149). § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 E soll dabei dem Gedanken Rechnung tragen, daß in der ersten Instanz nichts vorgetragen werden muß, was "vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts aus unerheblich" (S. 149) ist. Nummer 2 stellt insbesondere auf fehlerhafte Prozeßleitung ab. Nummer 3 meint einerseits Mittel, die "erst nach Schluß der erstinstanzlichen (letzten) Verhandlung entstanden" (S. 150) sind oder aufgrund einfacher Fahrlässigkeit nicht vorher bekannt waren (a.a.O.).

Liegt die Sache nach der Annahme dem Berufungsgericht vor, soll dieses auch regelmäßig selbst Beweis erheben und entscheiden (§ 538 Abs. 1 E). Eine Zurückverweisung soll bei Verfahrensmängeln nur noch möglich sein, wenn eine Beweisaufnahme erforderlich und vor dem erstinstanzlichen Gericht erheblich wirtschaftlicher durchzuführen ist (§ 538 Abs. 2 Nr. 2 E). In diesem und in allen anderen Fällen, die dem bisherigen § 538 ZPO entnommen sind, soll aber zukünftig der Antrag mindestens einer Partei erforderlich sein. Die Anschlußberufung soll künftig nur noch unselbständig möglich (§ 524 Abs. 5 E).

Für die Revision finden sich entsprechend ebenfalls etliche Neuerungen. § 542 E entspricht noch dem § 545 ZPO, natürlich mit Ausnahme der Passage "von den Oberlandesgerichten", denn andere Berufungsinstanzen soll es zukünftig nicht mehr geben. § 543 E stellt dann die reine Zulassungsrevision als Regelfall vor:

"(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

  1. das Berufungsgericht in dem Urteil oder
  2. das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung

zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

  1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
  2. das Urteil von einer Entscheidung des BGH oder des GemSOGB abweicht und auf dieser Abweichung beruht.

Das Revisionsgericht ist an die Zulassung gebunden."

"Die Vorschrift bestimmt weitgehend die formellen und materiellen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Revision neu. Das bisherige Mischsystem von Zulassungs- und Streitwertrevision wird durch eine generelle Zulassungsrevision mit Nichtzulassungsbeschwerde ersetzt und vereinheitlicht den Zugang zur Revisionsinstanz." (S. 154). Ausdrücklich sieht der Entwurf davon ab, die Revision bei Verfahrensmängeln zu ermöglichen, auch nicht bei solchen, auf denen das (zweitinstanzliche) Urteil beruhen kann, es soll keine Erleichterung gegenüber der Geltendmachung materiellrechtlicher Fehler geben. Auch hier "soll der Zugang zur Revisionsinstanz daher nur dann eröffnet sein, wenn die Entscheidung darüber grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn ein Fall der Divergenz vorliegt." (S. 156).

§ 545 Abs. 1 E (= § 549 Abs. 1 ZPO) fordert weiterhin als Revisionsgrund eine Rechtsverletzung, die in § 546 E (= § 550 ZPO) definiert wird. Nicht stimmig im System der Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung oder Divergenz ist dann die Formulierung "Absolute Revisionsgründe" in der Überschrift des § 547 E (» § 551 ZPO). Denn wie sich aus der oben zitierten Begründung zu § 543 E ergibt, findet auch bei Verfahrensfehlern nur die relative Revision statt. Oder anders: auch ein "absoluter" Revisionsgrund nach § 547 E führt nicht absolut zur Revision, sondern nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 543 E. Konsequent wäre es gewesen zu bestimmen, daß in den Fällen des § 547 E stets die grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 E gegeben ist; fraglich ist, ob sich diese Auffassung späterhin durchsetzen würde.

Die Sprungrevision (§ 566 E) wird konsequenterweise zukünftig auch gegen (berufungsfähige) Urteile des AG möglich sein, also bei allen Streitwerten jenseits DM 1 200,-- resp. Î 600,--. Die Zulassungsgründe (§ 566 Abs. 4 E) entsprechen denen der "normalen" Revision, allerdings soll die Geltendmachung eines Verfahrensmangels generell nicht genügen (§ 566 Abs. 4 Satz 2 E), selbst wenn die Sache dadurch grundsätzliche Bedeutung bekäme. Auch die Anschlußrevision soll nur noch unselbständig möglich sein (§ 554 Abs. 4 E).

Die Beschwerde soll künftig einheitlich als sofortige Beschwerde stattfinden, unselbständiger Anschluß möglich sein (§ 567 Abs. 1, 3 E). Neu eingeführt wird die Rechtsbeschwerde zum BGH (§ 574 E), ebenfalls mit unselbständiger Anschlußmöglichkeit. Sie soll vor allem für Kostensachen eingeführt werden, die bisher "von verschiedenen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet" (S. 182) wurden. "Denn auch in zivilprozessualen Beschwerdesachen können Grundsatzfragen auftauchen, die dem Bundesgerichtshof nicht vorenthalten werden dürfen, wenn er seine Funktion als Wahrer der Rechtseinheitlichkeit und Rechtsfortbildung auf allen Rechtsgebieten wirksam wahrnehmen will." (S. 181 f.). Ob der BGH dieser Aufgabe künftig bei der erwarteten überwiegenden Beschäftigung mit Nichtzulassungs- und Kostenbeschwerden noch in nennenswertem Umfang nachkommen kann, ist eine offene Frage.

Festzustellen ist im Ergebnis eine Verringerung des Rechtsschutzes für den Bürger, insbesondere deswegen, weil die Berufungsinstanz an das verfahrensfehlerfrei festgestellte Tatsachenmaterial der ersten Instanz gebunden ist, auch wenn dort erkennbar nicht die "Wahrheit" festgestellt wurde. Dies räumen die Entwurfsverfasser selbst ein: "Was das Ausgangsgericht ohne Rechtsfehler und vollständig festgestellt hat, ist damit auch in der Berufungsinstanz maßgeblich. Reine Feststellungsrügen ... zu einer anderen Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Tatsachenbehauptung ... verlieren damit ihre Relevanz." (S. 74). Dies ist für die Berufung und damit insgesamt im Verfahren deutlich weniger an Schutz, als die VwGO dem Bürger gewährt (vgl. Petzold, MHR 4/1999, S. 29) und damit unter dem Strich zu wenig.

Dies wird auch nicht aufgewogen durch die zentrale Vorschrift des § 139 E zur materiellen Prozeßleitung. Zwar werden hier verstreute Regeln aus der ZPO zusammengefaßt. "Der Entwurf sieht jedoch davon ab, den Gerichten inhaltlich engere oder detaillierte Vorgaben als das bisherige Recht zu machen." (S. 104). Also kein Schritt in Richtung Amtsermittlung in der ersten Instanz als Ausgleich für die fehlende (volle) zweite Tatsacheninstanz. Da hilft es auch dem Bürger wenig, wenn richterliche Hinweise zukünftig aktenkundig gemacht werden müssen (§ 139 Abs. 4 E), es sei denn, ein Fehlen der Dokumentierung in der Akte erleichtert das Rechtsmittelverfahren, wenn automatisch eine Vermutung für das Fehlen des Hinweises entsteht.

Ob die Einführung einer obligatorischen Güteverhandlung (§ 278 E) zur Verfahrensbeschleunigung beiträgt, sei bezweifelt, aber die Möglichkeit einer vergleichsweisen Streitbeilegung in einem frühen Stadium verdient grundsätzlich Unterstützung. Dazu könnte auch die Erledigung nach § 272a Abs. 2 E dienen, bei der die Parteien einen Vergleich schließen, indem sie einen Vorschlag des Gerichts schriftsätzlich annehmen.

Eine weitere Annäherung zwischen Amts- und Landgericht, die die organisatorische Trennung noch künstlicher erscheinen läßt, ist die beabsichtigte Einführung des originären Einzelrichters (§ 348 E), der alle Streitigkeiten bis zu DM 60 000,- [Î 30 000,-] entscheiden soll, es sei denn, es handelt sich um einen Proberichter mit weniger als sechs Monaten Erfahrung in Zivilsachen. Übertragung auf die Kammer erfolgt (§ 348 Abs. 3 E) bei grundsätzlicher Bedeutung oder besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten, Vornahme oder Unterlassung sollen nicht rechtsmittelfähig sein (§ 348 Abs. 4). Bei allen Streitigkeiten über der genannten Wertgrenze tritt der obligatorische Einzelrichter auf, d.h. die Kammer überträgt ihm den Rechtsstreit ohne ein Ermessen (Begründung, S. 122), wenn die Voraussetzungen des § 348 Abs. 3 E nicht vorliegen und noch nicht vor der Kammer zur Hauptsache verhandelt wurde (Ausnahme: ein zwischenzeitliches Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil). Übertragung auf die Kammer kann nach Anhörung der Parteien erfolgen, wenn die Voraussetzungen (§ 348 Abs. 3 E) im laufenden Verfahren aufgrund "einer wesentlichen Änderung der Prozesslage" (§ 348a Abs. 2 Satz 1 E) vorliegen.

Auch in der Berufungsinstanz wird nach § 526 Abs. 1 E der Einzelrichter zum Regelfall:

"Über die Berufung entscheidet der Senat, wenn er nicht durch Beschluß den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung überträgt. Die Übertragung erfolgt, wenn

  1. die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde,
  2. die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist,
  3. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und
  4. nichts bereits im Haupttermin vor dem Senat zur Hauptsache verhandelt worden ist, es sei denn, daß zwischenzeitlich ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist."

Nur in der Revisionsinstanz soll es weiterhin beim Senatsprinzip bleiben (§ 555 Abs. 2 E = § 557a ZPO). Insgesamt ist fraglich, ob die verstärkte Einzelrichtertätigkeit ein wirklicher Fortschritt wäre. Mit Blick auf die "knappen Personalressourcen" (Begründung, S. 80) mag man noch zustimmen, ob die Ausbildungsfunktion weiterhin wahrgenommen werden kann, erscheint schon fraglich (vgl. Begründung, S. 69). Gänzlich zweifelhaft ist aber m.E. die Behauptung, wenn "es um die Aufdeckung und Beseitigung von Fehlern der ersten Instanz geht ..., ist das Kollegialgericht entbehrlich." (S. 80). Gerade bei der Fehlersuche sehen vier bis sechs Augen mehr als zwei. Werden erfahrene Richter verstärkt zur Stärkung der Eingangsinstanz abgezogen (vgl. Begründung, S. 78), sitzen in den Berufungssenaten umso mehr jüngere, weniger erfahrene Kräfte, die ja in einem Kollegialorgan ausgebildet werden müssen. Diesen Bedenken kann man entgegenhalten, daß ja zunächst der gesamte Senat bei der Annahme die Erfolgsaussicht der Berufung prüfen muß, bevor die Einzelrichterübertragung erfolgen kann (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a E, Begründung, S. 81). Die Erfolgsaussichten werden aber bei grundsätzlicher Bedeutung nicht geprüft (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2b E), im übrigen wird dann jedenfalls ein großer Teil der erhofften Einsparung an Arbeitskapazität nicht realisierbar sein, denn der Senat muß sich bei der Annahmeentscheidung schon mit einiger Gründlichkeit der Sache widmen.

Diese Zusammenfassung soll und muß zunächst ausreichen, um deutlich zu machen, daß der Entwurf an vielen Stellen der Kritik und der Überarbeitung bedarf. Stärkung der ersten Instanz und mehr Transparenz bei den Rechtsmitteln sind Ziele, die durchaus breite Unterstützung verdienen. Der vorgelegte Referentenentwurf verdient sie in dieser Form nicht, jedenfalls aber die breit angelegte, konstruktive Diskussion. Hierzu sollte ein Beitrag geleistet werden.

RA Hans Arno Petzold