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Eva Leithäuser – Abschied als Verfassungsrichterin

Politik bestimmt das Verhältnis der Menschen zum Staat. Sie wird nur da überzeugen, wo sie sich in Sorge um die anvertrauten Menschen als vernünftiger Umgang mit der jeweils verfassungsgemäß übertragenen Macht ausweist.

Also wird sich eine Regierung nicht nur damit begnügen können, durch sachgerechtes Handeln möglichst viele vor dem Staatszweck vertretbare Interessen zu berücksichtigen, sondern sie muss auch die Bürger von der Richtigkeit ihrer Maßnahmen überzeugen, zugleich deren Mitwirkung - wo immer möglich - fördern und sich der Kontrolle des Parlaments stellen.

Diese auch der hamburgischen Bürgerschaft obliegende Kontrollpflicht findet ihren Niederschlag nicht zuletzt in der auch für unsere Justiz sehr wichtigen Haushaltsgesetzgebung.

In Zeiten, in denen auf unsere Gerichte durch immer neue Gesetze immer mehr Arbeit zukommt, weil dann natürlich immer mehr Bürger die Rechtspflegeeinheiten in Anspruch nehmen, bleibt nur zu hoffen, dass unsere Volksvertretungen dementsprechend bereit sind, dann ebenfalls die dafür erforderlichen Geldmittel bereit zu stellen.

Ich bin sicher, dass der Senat und die Bürgerschaft bei allen unbestritten notwendigen Sparzwängen verantwortungsbewusst wissen, wann weitere Einschnitte in den Justizhaushalt nicht mehr zumutbar sind; es sei denn, dass die Verfahren entscheidend verschlankt und verändert werden.

Zu den der Bürgerschaft obliegenden Aufgaben gehört auch die Wahl einiger Mitglieder des Hamburgischen Verfassungsgerichts. Eine Aufgabe, die unabhängig von politischen Mehrheiten zu lösen ist und sicher von der Einsicht begleitet wird, dass gerade ein Verfassungsgericht nicht von der sog. Staatsraison und schon gar nicht vom Willen einer Regierung oder eines Parlaments abhängig sein darf.

Urteile des Verfassungsgerichts mögen mitunter durchaus schmerzhaft für die davon Betroffenen sein; ich weiß jedoch, dass nicht die Reaktion hierauf, sondern die Überzeugung von der Notwendigkeit richterlicher Unabhängigkeit stets bestimmend für die Wahl der Mitglieder des Hamburgischen Verfassungsgerichts gewesen ist. Deshalb ist diese - allein im Interesse einer funktionierenden Demokratie - getroffene Wahl ein Zeichen hohen Vertrauens.

Mir ist dieses Vertrauen für 2 Wahlperioden geschenkt worden.

Dafür, dass mir diese hohe Ehre zuteil geworden ist, bedanke ich mich hiermit ausdrücklich.

Wir leben in einer Welt, in der die Bedeutung elektronischer Kommunikation in der wissensorientierten Gesellschaft ständig wächst. Änderungen in der Arbeitsorganisation und der Siegeszug der Computertechnik nehmen dementsprechend auch entscheidenden Einfluss auf die Justiz.

Wir haben uns darauf einzustellen, dass die Technik nicht nur in Industrie und Wirtschaft immer mehr Steuerung und Kontrolle durch den Menschen ersetzt. Dabei müssen wir dafür sorgen, dass damit nicht zugleich die Gefahr der Manipulation der Gesellschaft bedrohlich zunimmt.

Sicher ist auch die Befürchtung auszuschließen, dass sich durch die zunehmende Ökonomisierung aller sozialen Handlungsweisen allgemein die Sensibilität für soziale Gerechtigkeit mindert und vergessen wird, dass diese ein auf die Würde des Menschen bezogener Selbstwert ist.

Trotz solcher durch umwälzende Technik hervordrängenden Probleme hat sich die Hamburger Justiz - insbesondere ihr Gerichtswesen - nie vernünftigen neuen Entwicklungen verschlossen. Im Gegenteil: wo organisatorische oder technische Neuheiten Nutzen für den Dienst am Bürger versprechen, hat die Justiz sie stets vorurteilsfrei eingesetzt.

Für die Gerichte sei hier nur kurz an Teamwork in den Gruppengeschäftsstellen, die Einheitssachbearbeitung, die frühzeitige Einführung des Computers im Gerichtssaal bei der Protokollführung und die Automation des Grundbuches oder an den elektronischen Rechtsverkehr im Finanzgericht erinnert.

Man kann sagen, dass diese Hamburger Justiz durchaus ein moderner Dienstleistungsapparat ist, aber dies führt natürlich weder dazu, dass Richter zum bloßen Objekt technischer Steuerung werden, noch dazu, dass richterliches Demokratieverständnis durch bloßes Apparatedenken ersetzt würde.

Die hamburgischen Richter werden so, wie sie es immer getan haben, sich nicht nur in der Rechtsprechung mit neuen Entwicklungen auseinandersetzen, sondern eigenständig mit aller persönlichen Hingabe ihre Arbeit still und selbstverständlich tun in dem Bemühen, wie immer den Bürgern dieser Stadt größtmögliche Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Nicht derjenige Richter repräsentiert die hamburgische Richterschaft, der vor allem die Medienwirksamkeit seiner Urteile vor Augen hat, und der - wenn er denn Senator wäre - gerichtsorganisatorische Änderungen unbedenklich einsetzen wollte, nur um ihm unliebsame Rechtsprechung auszuschließen, - ein im Hinblick auf die in unserer Demokratie grundgesetzlich garantierte richterliche Unabhängigkeit sehr gefährliches Unterfangen - sondern all die vielen Richter, die Tag für Tag weit über das Maß allgemein üblicher Arbeitszeit hinaus ihre Pflicht tun, und die nicht nur helfen, den Rechtsfrieden in dieser Stadt zu sichern, sondern mit ihrem richterlichen Wirken weit über Hamburgs Grenzen hinaus Anerkennung finden.

Diesen so unspektakulär tätigen hamburgischen Richtern gebührt der Dank aller Bürgerinnen und Bürger.

Mein persönlicher Dank gilt insbesondere aber all den Richterpersönlichkeiten, mit denen ich in diesen Jahren im Hamburgischen Verfassungsgericht zusammenarbeiten durfte.

Natürlich sind Verfassungsrichter Menschen, die, wie jeder andere Bürger auch, ihre individuellen Ansichten und gesellschaftlichen Bindungen haben. Nur: Ihre Parteizugehörigkeit, oder ihre Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder zu Verbänden darf nicht ihre richterliche Tätigkeit beeinflussen. Das bedeutet, dass jedes Mitglied gehalten ist, seine eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen wieder und wieder zu relativieren.

Subjektives Recht und staatliche Kompetenz stehen sich vor dem Verfassungsgericht oft ebenso streitig gegenüber wie Staatsbürger und Staatsorgan - oder auch wie Volkswille und Staatswille. Hier müssen unter den Verfassungsrichtern gegenseitige Erwägungen ständig miteinander abgewogen werden. Nur mit Offenheit und innerer Unparteilichkeit, mit der Fähigkeit, eine Position nachdrücklich zu vertreten, aber ebenso auch der Fähigkeit, bei besseren Argumenten die eigene Position aufgeben zu können, ist eine überzeugende Entscheidungsfindung möglich. Und wenn die gefundenen Entscheidungen auch oft politische Auswirkungen gehabt haben, so hat sich das Hamburgische Verfassungsgericht jedenfalls nie als politisches Gremium verstanden, hat sich nie eine Kontrolle politischer Richtigkeit angemaßt, sondern seine Prüfung auf Gesetzeskonformität und Verfassungsmäßigkeit beschränkt.

Ich bin allen Kolleginnen und Kollegen dankbar für die geistige Freiheit, in der unsere Beratungen stattgefunden haben, für ihr profundes Wissen, das mir oft großen Respekt abgefordert hat und die Geduld und Toleranz, mit der sie abweichende Vorschläge erörtert und aufgenommen haben. Mit ihnen zusammenarbeiten zu dürfen, hat mir nicht nur uneingeschränkt intellektuelle Freude bereitet, sondern hat mich immer auch ermutigt, für Entscheidungen einzutreten, die unserem demokratischen Selbstverständnis gerecht werden, selbst wenn dies mit schmerzhaften Konsequenzen verbunden sein konnte.

Dafür danke ich Ihnen allen sehr.

Die Aufgaben des Hamburgischen Verfassungsgerichts werden zukünftig nicht weniger und gewiss nicht weniger schwierig sein.

Die schleichende Bedrohung der Bürgerfreiheit durch Zweiteilung der Gesellschaft in diejenigen, die im Zeitalter elektronischer Kommunikation schon zuhause sind, und diejenigen, die wegen fehlender Kenntnis davon ausgeschlossen bleiben, ist nicht zu verkennen. Die strukturellen Veränderungen in der Gesellschaft, in denen einerseits Parteien ihre Mittlerfunktion gegenüber den Bürgern behalten, andererseits aber immer mehr Splittergruppen politisch eigenständig und aktiv werden, wird neue verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen. Ich bin sicher, dass unsere Verfassung all diesen gesellschaftlichen Veränderungen gerecht zu werden vermag und dass der Wechsel in der Besetzung des Hamburgischen Verfassungsgerichts neue Erfahrungen in die Beratungen einfließen lassen wird, die diese neuen Strömungen der Zeit in Einklang mit der Sicherung verfassungsrechtlicher Freiheit zu bringen vermögen.

Eva Leithäuser