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Budgetierung und ihre subtilen Einflüsse auf die richterliche Verantwortung bei Zustellungen

Unser Amtsgericht Frankfurt (wir haben seit Anfang des Jahres die Budgetierung) lässt seit Ende Juni alle Zustellungen im Bereich der Stadt und des Kreises Offenbach nicht mehr über die Deutsche Post AG, sondern über einen privaten Zustelldienst ausführen. Es handelt sich dabei um eine Firma, die eine entsprechende Lizenz der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post hat. Die Zustellung kostet hier nur 10 DM.

An der Zulässigkeit einer solchen Zustellungsform wird man wohl kaum vorbeikommen, da es im Postgesetz eine Regelung gibt, nach der Firmen mit einer entsprechenden Lizenz verpflichtet sind, solche Zustellungen auszuführen. Der Gesetzgeber hat es zwar unterlassen, die Zustellungsregelungen in der ZPO (und anderen Gesetzen) anzupassen. Aus der Tatsache, dass private Firmen mit Lizenz zur Zustellung gesetzlich verpflichtet sind, wird man aber schließen dürfen, dass sie dazu dann auch berechtigt und solche Zustellungen grundsätzlich wirksam sind.

Anfangs war unser Präsident der Meinung, er könne damit Geld verdienen: Er wollte nach außen weiterhin 11 DM für die Zustellung berechnen und die gesparte Mark als Gewinn behalten. Diese Praxis musste er aber sehr schnell wieder aufgeben, nachdem wir ihn darauf hingewiesen hatten, dass es sich bei den Kosten der Zustellung um Auslagen der Staatskasse handelt, die natürlich auch nur in der tatsächlich entstandenen Höhe weiter berechnet werden dürfen.

Ein erhebliches praktisches Problem gibt es mit den Niederlegungen. Der private Zustelldienst verfügt nicht über eigene Ausgabestellen. Werden die Empfänger bei zwei Zustellversuchen nicht angetroffen, hinterlegt die Firma die zuzustellende Sendung beim Amtsgericht oder – im Landkreis - bei der jeweiligen Gemeindeverwaltung. Während die Gemeindeverwaltungen dafür, dass sie die Sendungen bereithalten und dann den jeweiligen Empfängern aushändigen, wohl Geld nehmen (sagt jedenfalls der Präsident), leistet das Amtsgericht diesen Service umsonst. Das ist für unsere Wachtmeister - auch wenn der Präsident es nicht wahrhaben will - natürlich eine ganze Menge Arbeit. Zur Zeit sind es pro Tag so um die 20 Sendungen, die ausgegeben werden müssen. Und es muss ja auch dokumentiert werden, wann und an wen die Sendung herausgegeben wurde.

Das größte Problem ist aber wohl, dass die Leute die beim Amtsgericht niedergelegten Sendungen nur während unserer Öffnungszeiten abholen können. Wer also wochentags bis 16:00 Uhr nicht zum Gericht gehen kann und auch niemanden hat, der für ihn mit einer entsprechenden Vollmacht die Sendung abholt, muss sehen, wo er bleibt. Ich glaube kaum, dass ein Arbeitgeber jemandem frei gibt, nur weil der beim Gericht einen Brief abholen muss. Da haben es die Kunden der Deutschen Post AG natürlich besser: Sie können abends bis 18:00 Uhr und - was noch wichtiger ist - natürlich auch samstags die für sie niedergelegten Sendungen abholen. Ich stelle mir einen alleinstehenden Arbeitnehmer vor, der jeden Tag bis nach 16:00 Uhr arbeiten muss. Der wurde Zeuge eines Verkehrsunfalls und gerät jetzt an einen Richter, der grundsätzlich alle Zeugen per ZU lädt und auch häufiger mal Termine verlegt. Der Zeuge möchte auch nicht einen Nachbarn bitten, für ihn - natürlich mit schriftlicher Vollmacht! - die Sendung beim Gericht abzuholen (ist ja bei manchen Nachbarn vielleicht auch gar nicht so einfach, denen zu erklären, dass man nur als Zeuge geladen ist). Was macht denn so ein Mensch?

Ich frage mich, ob das, was wir da machen, wirklich richtig ist. Natürlich ist die Niederlegung beim Gericht eine im Gesetz ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit. Aber sind wir nicht gleichwohl gehalten, die für den Empfänger günstigere Möglichkeit der Zustellung durch die Post zu wählen, weil er dann im Falle der Niederlegung nicht extra Urlaub nehmen muss, um die Sendung abzuholen? Und sind wir berechtigt, einer privaten Firma einen nicht ganz unerheblichen Verwaltungsaufwand kostenlos abzunehmen, womit sich diese Firma natürlich entsprechende eigene Aufwendungen erspart und dadurch einen Wettbewerbsvorteil erlangt?

Unser Präsident verteidigt seine neue Errungenschaft mit Zähnen und Klauen. Nachdem das Kostenargument weg ist, argumentieren er und die Verwaltung jetzt, der von ihnen geschlossene Vertrag mit der privaten Firma schaffe Arbeitsplätze. Die Zustellungen dieser Firma seien für die Bürger auch günstiger, weil es sicher weniger Niederlegungen gebe als bei der Post. Die Firma mache den ersten Zustellungsversuch am Nachmittag bzw. Abend zwischen 16 und 19 Uhr. Werde der Empfänger dann nicht angetroffen, gebe es am nächsten Morgen einen weiteren Zustellversuch. Die Zusteller bekämen für niedergelegte Sendungen auch weniger Geld als für solche, die durch Übergabe zugestellt werden.

Ob das alles überhaupt richtig ist, weiß ich nicht. Ich habe nur von einem Gerichtsvollzieher gehört, dass er gesehen hat, wie ein privater Zusteller vor einer größeren Wohnanlage mehrere Benachrichtigungskarten ausgefüllt und dann schnell in die Briefkästen geworfen hat. Es könnte sich ja für den Zusteller durchaus rechnen, 10 Karten einfach einzuwerfen, anstatt zehnmal zu klingeln und dann vielleicht noch mehrere Stockwerke hoch laufen zu müssen. So ist es ja bei der Post leider auch oft. Ich weiß das von meinem Sohn, der früher in den Ferien immer als Zusteller bei der Post gejobt hat. Ich selbst habe schon Zustellungen von dem privaten Zustelldienst zurückbekommen mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt"; habe ich dann eine erneute Zustellung durch die Post angeordnet, hat es geklappt. Es ist natürlich klar, dass die privaten Zusteller ihre Bezirke (noch) nicht so gut kennen wie die Postmenschen. Ob sich das im Laufe der Zeit ändert, wird man abwarten müssen.

Unser Präsident ist der Meinung, uns Richter gehe das alles sowieso nichts an. Aber jetzt habe ich zum Beispiel einen Fall, wo mir die Kostenbeamtin die Akte vorlegt und mich fragt, ob sie tatsächlich die Rechtskraft des durch Niederlegung zugestellten Strafbefehls bescheinigen soll und darf. Ich kann doch nicht als Richter hingehen und sagen, wenn die Verwaltung eine solche Zustellungsform für rechtlich unbedenklich halte, müsse ich das hinnehmen - oder? Ist es wirklich kein Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung, wenn Zustellungsempfänger im Bereich eines privaten Zustelldienstes im Falle der Niederlegung große Schwierigkeiten haben, überhaupt an die Sendung zu kommen? Müsste man jemandem, der das nicht geschafft hat, auf Antrag - oder vielleicht sogar von Amts wegen - bei einer versäumten Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren?

Karsten Koch, RiAG Frankfurt/Main