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"Assessoren auf Reisen"

In dem für uns Nordlichter doch sehr entfernt liegenden Regensburg fand im Rahmen der Bundesvertreterversammlung des Deutschen Richterbundes am 29.03.2001 die jährliche Assessorentagung statt, zu der sich JungrichterInnen aus allen Bundesländern trafen. Schwerpunkt der vierstündigen Veranstaltung bildete ein Thema, das insbesondere den Kollegen aus den Flächenstaaten Alpträume bereitet: "Assessoren als Handelsreisende in Sachen Recht".

Während auch wir Stadt-Staaten Vertreter zu dem ersten Halbsatz des Diskussionsthemas "Heute da und morgen dort" noch eigene Erfahrungen beizusteuern vermochten, stießen unsere Äußerungen zu örtlich erzwungenen Wechseln, etwa vom Amtsgericht Berlin zur Außenstelle Charlottenburg oder gar vom Amtsgericht Hamburg zum südlich der Elbe liegenden AG Harburg auf verhältnismäßig geringes Interesse.

Mehr Kopfschütteln lösten die Berichte von Kollegen aus größeren Flächenstaaten aus, die über erhebliche Reisetätigkeiten jüngerer Kollegen zu berichten wussten. Die von Dienstherren so gern gesehene örtliche Mobilität bedeutet dort die geographisch neue Erkundung des eigenen Bundeslandes. Kurzfristige Versetzungen über eine Entfernung von mehreren hundert Kilometern hinweg zwingen entweder zu täglichem Pendeln von einer möglichst zentral im Bundesland gelegenen Wohnung zu dem jeweils zugeteilten Außengericht oder zu kurzfristig kündbaren Mietverträgen.

Folgerichtig wussten Kollegen auch davon zu berichten, dass Einstellungsgespräche zum Teil mit der Frage begonnen werden, ob der Bewerber über ein Kfz verfüge, wobei insbesondere ein Wohnmobil sich eigne, um spontan auf dienstliche Belange reagieren zu können.

Keinesfalls hinzunehmen ist auch die in (wenigen) Bundesländern zu beobachtende Praxis, Stellen von Assessoren in der Weise aufzuteilen, dass der Einsatz bei mehreren und dann auch noch örtlich verschiedenen Gerichten erfolgt. Mehr als unglücklich hat es etwa die Kollegin erwischt, die während ihrer dreijährigen Probezeit 16 verschiedene Gerichte kennen lernen durfte und deren erhöhte Arbeitsbelastung sich unter anderem daraus ergab, dass sie (alles zeitgleich!) zwei 1/4 - Abteilungen an örtlich verschiedenen Amtsgerichten und als Bonbon zwei weitere je 1/4 - Stellen bei einem Landgericht zu bewältigen hatte.

Zu einem weiteren Schwerpunkt der Diskussion, ausgelöst durch die Problematik der örtlichen Versetzung, nun aber wieder die Assessoren aller Bundesländer betreffend, entwickelte sich die Frage, nach welchen Kriterien wer wohin verschickt, wer wann ernannt und wer überhaupt als Proberichter eingestellt wird, also die Personalpolitik. Allgemein bemängelt wurde, dass bei Personalentscheidungen, die Assessoren unmittelbar betreffen, verhältnismäßig wenig Transparenz herrscht. Auch die Frage der "Laufbahnplanung" wurde thematisiert. Allgemein befürwortet wurde der Ansatz, jedem Assessor die Möglichkeit zu bieten, seinem Wunsch entsprechend während der Probezeit sowohl bei einem Amtsgericht, Landgericht als auch bei einer Staatsanwaltschaft eingesetzt zu werden und darüber informiert zu sein, an wen er sich mit seinem Wunsch gegebenenfalls zu wenden hat.

Unter dem Eindruck der geschilderten Defizite fand die Initiative der Assessoren des Landgerichtsbezirks Lübeck, einen Proberichterrat zu gründen, großen Anklang. Schon seit einigen Jahren wählen dort sämtliche Assessoren einmal jährlich vier Kollegen, die den Proberichterrat bilden.

Dieser versteht sich als verbandsunabhängiger Interessenvertreter der Gesamtheit aller Assessoren. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Mitwirkung bei Personalentscheidungen, die Assessoren betreffen. An solchen wird er aufgrund ausdrücklicher Absprache frühzeitig im Wege der Anhörung beteiligt. Aufgabe des Proberichterrates ist insbesondere, bei den Personalentscheidungen auf eine Verwirklichung der - vom Proberichterrat in Absprache mit dem für Personalentscheidungen zuständigen Justizministerium aufgestellten - Grundsätze über den Einsatz von Assessoren während der Probezeit hinzuwirken. Zu diesen Grundsätzen zählt unter anderem, Assessoren Gerichten zuzuweisen, die möglichst nahe ihrem Wohnsitz liegen, einen zeitgleichen Einsatz bei mehr als zwei verschiedenen Gerichten zu vermeiden und - auf Wunsch - eine möglichst zeitnah vor der Lebenszeiternennung liegende Tätigkeit beim Landgericht zu ermöglichen.

In problematischen Einzelfällen dient der Proberichterrat auch als Vermittlungsstelle zwischen den betroffenen Assessoren und dem Dienstherren. Zudem ist er Ansprechpartner für Assessoren, die Wünsche für ihren künftigen Einsatz als Proberichter anmelden möchten oder einen Wechsel zum Amts-, Landgericht oder zur Staatsanwaltschaft planen. Schließlich werden Mitglieder des Proberichterrates auch bei Neueinstellungen von Kollegen und damit an der gerade für jüngere Richter bedeutsamen Zusammensetzung des künftigen Kollegiums aktiv beteiligt.

Angesichts der sodann fortgeschrittenen Zeit bot die Diskussion zum weiteren Tagespunkt "Anforderungen an den Arbeitsplatz von Richtern und Staatsanwälten in der Zukunft" nur noch Appetithäppchen zu der Frage, was eigentlich schon lange Standard sein sollte. In den bis zur Abendveranstaltung noch zur Verfügung stehenden 30 Minuten gelang es jedenfalls, die Erkenntnis zu artikulieren, dass der jetzige Zustand in den meisten Bundesländern äußerst unbefriedigend ist und das gegenwärtige Dilemma gelöst werden sollte, ehe kühne Träume über künftige Ausstattung in der Zukunft begonnen werden.

Auffällig war ein deutliches Missverhältnis der vorhandenen Ausstattung mit technischen Möglichkeiten in den verschiedenen Bundesländern. So lösten die Berichte von Kollegen aus südlichen Bundesländern über ihre technische Ausstattung bei anderen erhebliche Neidgefühle aus, während diese ihrerseits für ihre Behauptung, weder vernetzt zu sein noch überhaupt einen PC gestellt zu erhalten, im Gegenzug ungläubiges Staunen ernteten.. Als für fundierte Rechtsprechung nicht gerade ideale Voraussetzung wurde bemängelt, Rechtsanwälte um die Übersendung aktueller Kommentarstellen bitten zu müssen, um nicht der Schmach ausgesetzt zu sein, auf dem Stand der Vor-Vorauflage Recht sprechen zu müssen. Reges Interesse fand die Diskussion über den Einsatz von Spracherkennung zur Abfassung von Urteilen, wobei auch hier deutliche Unterschiede bei der finanziellen Ausstattung der Länder zu erkennen waren. Während die einen stolz, in der Aussprache bereits leicht gezeichnet vom täglichen Sprachtraining, über eine von ihnen in mühsamer Kleinarbeit selbst zu korrigierende

Fehlerquote von "nur noch fünf Prozent" auf ihrem privaten PC berichteten, war diese anderen aus eigener Anwendung vollkommen unbekannt: Sie nutzten das dienstlich gestellte Spracherkennungsprogramm zum Diktat, übersandten die Datei ihrer (vorhandenen) Geschäftsstelle zur Korrektur und freuten sich noch am selben Nachmittag auf eine E-Mail mit dem korrigierten Urteil - ohne Fehlerquote.

Matthias Buhk