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Streifengänger

Irgendwann im Herbst des Jahres 2001, frühmorgens, lenkte eine junge Hamburger Staatsanwältin ihr Auto vor ihre Behörde: Kaiser-Wilhelm-Str. zwischen die Nummern 100 und 50, wo sich – etwas zurückspringend zwischen den Gebäuden - ein Parkplatz befindet. Dort fuhr sie ihren Wagen auf den Bürgersteig und stieg aus, um aus dem Kofferraum eine Getränkekiste zu entladen und in ihre Dienststelle zu tragen. Die Legalität ihrer Fahrzeugplatzierung war – trotz Fehlens ausdrücklicher Verbotsschilder, selbst wenn dabei (wie hier) weder Verkehrsteilnehmer noch Fußgänger behindert werden konnten – immerhin bestreitbar. Das Recht ist abstrakt: ein Bürgersteig ist ein Bürgersteig und kein Parkplatz, und ob hier der Tatbestand lediglich des Haltens oder doch schon des Parkens vorlag: darüber hätte trefflich gestritten werden können. Die Staatsanwältin aber dachte nicht an Streit, sondern schickte sich an, ihre Kiste zu ergreifen, als ein ihr wohlbekannter Kollege, der dem Rechtsstaat inzwischen als Amtsrichter dient, des Weges und zügig auf sie zukam. Wollte er ihr beim Tragen behilflich sein – oh, welche Bedachtsamkeit! Es gibt ja doch noch (durchfuhr es sie ) auch unter Juristen charmante Kavaliere! Freilich: als gar zu galant entpuppte sich der Rechtsfreund nicht; aber auch seinem trockenen Humor ließ sich zur Not ein gewisser Reiz abgewinnen: "Hier darfst du nicht stehen, das ist unzulässig und gegen die Ordnung, ... wie kannst als Staatsanwältin du das verkennen ...; oh nein: ich werde das anzeigen, werde dich anzeigen . !"

Da der Kollege offenbar mehr darauf erpicht war, sein Argumentationsvermögen zu demonstrieren als seine Muskelkraft fremdnützigen Zwecken dienstbar zu machen, stemmte und schleppte unsere Staatsanwältin ihre Kiste nun allein und mit eigener Hand ins Gebäude, parkte ihren Wagen gemessene Zeit darauf für den Rest des Tages auf dem Heiligen-Geist-Feld und hatte den merkwürdigen Disput vom frühen Morgen bald vergessen.

Nach einigen Wochen aber flatterte ihr ein Bußgeldbescheid ins Haus: wegen verbotenen Parkens, just am Tag und Ort des obigen Disputs. Zeuge: RiAG XY - also eben jener! Die Staatsanwältin fiel aus allen Wolken und brauchte eine Weile, sich die alte Szene ins Gedächtnis zu rufen. Also war der vermeintliche Scherz damals weder theoretisch noch witzig, sondern bitterernst gewesen und war der gute Kollege mit böser Mine als Protokollant und Ordnungshüter tätig geworden. Aber warum in aller Welt? Zwischen ihr und ihm hatte es niemals Zerwürfnis, Krach, Feindschaft, Streit, Neid, Rivalität – hatte es buchstäblich nichts gegeben!

Die Delinquentin erhob zunächst Widerspruch gegen den Bescheid, wurde abschlägig beschieden und zahlte die behördlich festgesetzte Summe, um die Geschichte aus der Welt und sich selbst und ihrer Justiz ohne weiteres Aufheben vom Halse zu schaffen.

Es mag von gewissem Reiz sein, über Nutzanwendungen des Falles zu spekulieren:

Ist im demokratisch-egalitären Rechtsstaat der noch geltende § 152 GVG (Polizisten als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft) nicht schon längst überholt? Muss nicht umgekehrt jeder gute Bürger – auf welchen Platz er auch sonst gestellt sein mag – sich selbst als Hilfsbeamter unserer rechtsstaatlichen Ordnung, mithin als Diener ihrer bestallten Hüter begreifen und dann auch tätig bekennen? Würden wir nicht in Hamburg z.B. auf den Polizistenzuzug aus Bayern samt und sonders verzichten können, wenn ein jeder sich so selbstlos als Hilfspolizist verstünde wie unser Amtsrichter? "Schützen wir die Polizei ...!", beginnt und endet einer der seltsamen Gesänge Georg Kreislers aus den späten ("wilden") 60ern. Heute müssen wir dem Bürger - uns selbst! - weit mehr abverlangen. Identifikation: jedermann auf Streife! Greifen wir zu Notizbuch und Tintenstift – und los; das Vorbild ist gesetzt – eifern wir ihm nach!

Günter Bertram



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