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Die "Familie",
der Staat
und das Geld
– eine traurige Geschichte

Man(n) kann sich über vieles ärgern, frau auch. Es geht natürlich auch, sich nur zu freuen. Ist aber manchmal schwierig. Z.B., wenn der Staat tätig wird. In welcher Form auch immer. Ein beliebtes Thema: Die Familie und das Geld. Erstere wird durch das Grundgesetz besonders geschützt, zweites ist besonders begehrt und immer knapp. Und schon ist der Zielkonflikt da. Hinzu kommt die Begriffsverwirrung. Nicht beim Geld. Das heißt jetzt Euro, und das ist auch gut so. Aber was ist Familie? Zur Vermeidung von Wiederholungen sei auf die Lektüre der Kommentierungen zu Art. 6 GG verwiesen und auf die Programme der politischen Parteien. Vor der unvermeidlichen Verwirrung bei Leserinnen und Lesern warne ich schon jetzt!

Selbige tut sich dann auch auf, wenn Rechtsprechung und Gesetzgebung in der Praxis zusammen wirken (oder zusammenwirken?). Otto von Bismarck wird folgender Satz zugeschrieben: Es gebe zwei Dinge, da dürfe man nicht zusehen, wie sie gemacht werden, weil es einem dabei schlecht würde: Wurst und Gesetze. Ich wohne zwar neben einem Schlachterladen, kann aber aus eigener Anschauung nur das Zweite bestätigen. Zwei Beispiele gefällig?

Das BVerfG (1 BvR 105/95 vom 28.02.2002) schrieb kürzlich (erneut) die Maßgeblichkeit der ehelichen Lebensverhältnisse für den nachehelichen Unterhaltsanspruch fest. Übrigens ein Umstand, der in kulturell und rechtsstaatlich vergleichbar entwickelten Nachbarländern hochgradiges Befremden auslöst, weil dadurch etwas zwangsweise perpetuiert wird, was die Beteiligten gerade beenden wollten. Sei’s drum. Ein Teil der Staatsgewalt sagt also: "Weiter wie bisher!" Und der andere? Der Gesetzgeber schert sich nicht darum, sondern nur um sein Geldsäckel. Mit Rechtskraft der Scheidung werden dieselben Personen sofort steuerlich und sozialversicherungsrechtlich anders behandelt. Dies wäre verständlich, wenn sich Rechte und Pflichten änderten. Im Ergebnis ist es nicht so, nur dass der Staat härter zuschlägt, "abzockt".

Besonders pervertiert dieser Gedanke beim Kinderunterhalt. Allen Sonntagsreden zum Trotz sorgt der Gesetzgeber dafür, dass der Fiskus nach einer Scheidung ordentlich zulangen kann und sich das Einkommen, das für die Kinder zur Verfügung steht, drastisch verringert. Auf diese Weise werden die Kinder dafür bestraft, dass die Eltern sich nicht mehr verstehen, wobei in solchen Fällen eine Scheidung dem Kindeswohl eher förderlich ist. Dieses liegt dem Gesetzgeber aber offensichtlich keineswegs am Herzen, sonst würde bei der Besteuerung (und z.B. auch bei der Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse) der Satz gelten: Familie ist immer da, wo Kinder sind, egal ob und wie die Eltern zusammen leben.

Ähnlich inkonsequent, um nicht zu sagen: verquer, sind etliche Regelungen im Lebenspartnerschaftsgesetz (vgl. schon MHR 4/2000, S. 26). Hier hatte der Gesetzgeber zwar viel vor, aber dann Angst vor der eigenen Courage (und dem Bundesrat). Heraus gekommen ist relativ wenig, und zum Teil grober Unfug. Aber an manchen Stellen wurde offen geschlampt (oder besonders clever getrickst?). Die Gleichstellung der Lebenspartner im Steuerrecht wurde vermieden. Immerhin sind gem. § 5 Lebenspartnerschaftsgesetz die Partner einander entsprechend §§ 1360a f. BGB unterhaltsverpflichtet. Die schlägt sich dann sofort in Anrechnungsvorschriften bei den Sozialleistungen nieder, z.B. in § 71 SGB III (Arbeitsförderung). Diese Einseitigkeit setzt sich fort. Kürzlich wurde von einem verpartnerten (was für eine entwürdigende Wortwahl!) Soldaten berichtet, der den Familienzuschlag (§§ 39 ff. BBesG) begehrte. Dies wurde ihm verweigert, da Partnerschaften nicht in § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BBesG erwähnt sind. Nun wurde Klage angekündigt.

Diesen Fall ließ ich in einer Prüfung im Zweiten Staatsexamen, leicht abgewandelt, diskutieren. Die Kandidat(inn)en kamen unschwer auf § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BBesG: danach besteht der Anspruch auch bei Aufnahme einer Person in den Haushalt, der gegenüber eine gesetzliche oder sittliche Unterhaltsverpflichtung besteht. Dieses Merkmal ist bei Lebenspartner(inne)n völlig zwanglos und klar zu bejahen. Hat das der ach so weise und umfänglich beratene Gesetzgeber nicht bemerkt? Oder war es Absicht, um im Sinne der beabsichtigten Besserstellung homosexueller Paare diese Tür offen zu halten? Ehrlich gesagt, aus langjähriger Erfahrung neige ich der ersten Ansicht zu.

Nun könnte der Schluss gezogen werden, künftig nur noch Wurst zu essen und sich nicht mehr um den Gesetzgeber zu kümmern, getreu dem Satz: "Ist doch egal, wovon uns schlecht wird!". Leider ist es leichter, auf Schweine- und anderes Fleisch zu verzichten als sich dem geltenden Recht zu entziehen, sei dieses auch noch so inkonsequent. Bleibt also nur der Aufruf an die Staatsgewalten, Gesetzgebung und Rechtsprechung, bei sich selbst die gleichen Qualitätsmaßstäbe anzulegen wie an Wurst. Und die eigenen Produkte vielleicht ein wenig sorgfältiger zu kontrollieren. BSE ("Besonders schlecht erarbeitet") bei Gesetzen, oder gar MKS ("Meist kompletter Schwachsinn") kommen beim Endverbraucher auch nicht gut an. Konsumverzicht äußert sich dann in Politikverdrossenheit, rückläufiger Wahlbeteiligung und/oder Protestparteien. Otto von Bismarck dürfte das gleichgültig gewesen sein, er gilt nicht als Urvater der Demokratie und des Parlamentarismus. Aber eigentlich waren wir doch schon etwas weiter in unserer politischen Entwicklung. Oder?

Rechtsanwalt Hans Arno Petzold, Hamburg