(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/04, 20) < home RiV >

Europa auf dem Weg von der Wirtschafts- zur Rechtseinheit

 

Tendenzen der Entwicklung eines europäischen Privatrechts

 

1.         Einleitung

Bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957/58 ließ man sich von der Überlegung leiten, dass die Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraumes den betreffenden Staaten Vorteile durch den Abbau bürokratischer Hürden beim grenzüberschreitenden Warenverkehr einbringen würde. Ländergrenzen sollten durch die Erstellung einheitlicher Regeln überwunden werden bzw. nunmehr einer wirtschaftlichen Betätigung nicht (mehr) im Wege stehen.

Dennoch sind selbst bis heute, fast 50 Jahre nach der Gründung der EWG, viele Probleme auf rechtlicher Ebene nach wie vor vorhanden. Zwar wird auf europäischer Ebene in rechtlicher Hinsicht bereits seit längerem länderübergreifend zusammengearbeitet, jedoch konzentrierte sich dies bisher vor allem auf die Schaffung von Regelungen zur Organisation der Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union. Jüngstes Beispiel ist die Arbeit des Europäischen Konvents zur Erarbeitung einer einheitlichen Europäischen Verfassung, welche aktuell in die Endphase (Unterzeichnung, Ratifizierung) übergegangen ist und dessen Entwurf bemerkenswerter Weise vergleichsweise schnell erarbeitet wurde.

Die Grundidee jedoch, die Behinderung der wirtschaftlichen Betätigung – egal ob als Verbraucher oder als Unternehmer –  aufgrund der unterschiedlichen Normen auf staatlicher Ebene auszuräumen, wurde bisher nicht verwirklicht. Ein europäisches Privatrecht ist, wenn überhaupt, bisher nur in Teilbereichen existent und findet dementsprechend momentan auch nur vereinzelt Anwendung.

2. Entwicklungstendenzen

Schon seit über 20 Jahren wird auf dem Gebiet des europäischen Privatrechts wissenschaftlich gearbeitet. Die „Commission on European Contract Law“, in Fachkreisen als die „Lando-Kommission“ nach ihrem Vorsitzenden bezeichnet, erarbeitete seit Anfang der achtziger Jahre die „Principles of the European Contract Law“. 1995 erschien der erste Teil dieser Prinzipien, der zweite Teil wurde im Jahre 1996 fertig gestellt und 2000 veröffentlicht. In diesen beiden Teilen wird aber nur ein Teilgebiet des Privatrechts behandelt, nämlich das Recht des Vertragsschlusses, der Willensmängel, der Leistungsmodalitäten und der Rechtsbehelfe bei Leistungsstörungen. Wichtige Teile vor allem des besonderen Schuldrechts fehlen.

Dennoch – im Vergleich zu anderen Aktivitäten auf diesem Gebiet – war und ist dies ein Projekt mit Pioniercharakter, denn erst 1989 sowie 1994 hat das Europäische Parlament den Rat und die Kommission dazu aufgefordert, die erforderlichen Vorbereitungsarbeiten zu einem einheitlichen europäischen Zivilgesetzbuch vorzunehmen. Damals betonte das Parlament ausdrücklich die Wichtigkeit der Vereinheitlichung speziell des Schuldrechts.

Zur Tagung des Europäischen Rates Ende 1999 in Tampere (Finnland) wurde ein weiterer wesentlicher Grundstein für einen einheitlichen europäischen Rechtsraum gelegt. Damals betonten die Staats- und Regierungschefs ausdrücklich, dass Privatpersonen und Unternehmen nicht durch die Unvereinbarkeit und/oder Komplexität der Rechtsordnungen und der Verwaltungssysteme in den Mitgliedsstaaten daran gehindert oder davon abgehalten werden sollten, „von ihren Rechten Gebrauch zu machen“. Damals empfahl der Europäische Rat der Kommission u.a. die Schaffung eines leicht zugänglichen Informationssystems, das von einem Netz zuständiger nationaler Behörden unterhalten und aktualisiert werden sollte. In der Folge wurde 2001 das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen aufgrund einer Entscheidung des Rates der Europäischen Union auf Vorschlag der Kommission eingerichtet, welches heute jedem EU-Bürger in europäischen Zivilrechtsfragen offen steht.

Im Juli 2001 veröffentlichte dann die Kommission eine „Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament zum Europäischen Vertragsrecht“ und brachte damit sprichwörtlich den Stein um eine öffentliche politische und wissenschaftliche Diskussion ins Rollen. Seit diesem Zeitpunkt wurden zahlreiche Stellungnahmen von Organen bzw. Institutionen der EU sowie aus der juristischen Lehre und der Wirtschaft bei der Europäischen Kommission abgegeben und veröffentlicht.

Aufbauend auf dieser Mitteilung zum europäischen Vertragsrecht vom Juli 2001 sowie den Stellungnahmen der interessierten Kreise zu dieser Mitteilung legte die Europäische Kommission dann am 12.02.2003 ihren Aktionsplan: „Ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht“ vor. Anhand dieses Dokuments bemüht sich die Kommission nunmehr darum, für mehr Kohärenz beim Zusammenspiel zwischen dem EU-Recht und dem Recht der Mitgliedstaaten zu sorgen sowie Probleme zu lösen, die das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen. Gleichzeitig will die Kommission prüfen, ob die Schaffung eines optionellen EU-Vertragsrechts wünschenswert und machbar ist, welches die Vertragsparteien benutzen könnten, um ihre grenzüberschreitenden Geschäfte leichter tätigen zu können.

Dennoch darf an dieser Stelle auch nicht unerwähnt bleiben, dass erstaunlicherweise der Aktionsplan wesentlich zurückhaltender in seinen Forderungen und Zielen formuliert ist als noch die Mitteilung der EU-Kommission vom Juli 2001. Ob das eine Folge der Resonanz auf die damalige Veröffentlichung ist, soll hier nicht behauptet werden. Tatsache ist aber, dass die Einführung eines einheitlichen europäischen Vertragsrechts, vor allem aus den Reihen von Betroffenen aus dem Wirtschaftssektor, nicht einhellig begrüßt wurde. Im Gegenteil – vermehrt kommen Stimmen auf – ohne hierbei Namen nennen zu wollen, welche diese Entwicklung sogar schlichtweg komplett ablehnen.

Fragt sich, warum die Wirtschaft kein Interesse an einer Vereinheitlichung von zivilrechtlichen Normen haben sollte. Auf den ersten Blick trägt dies doch zur Rechtssicherheit bei, müssen keine Rechtsabteilungen mehr mit der Transformation in ein anderes Recht beschäftigt werden. Dabei spielt sicherlich eine große Rolle, dass die Erfahrungen der Wirtschaft mit dem, was in Straßburg diese betreffend bisher entschieden wurde, nicht unbedingt unternehmerfreundlich, vielmehr eher verbraucherorientiert war. Immer mussten neue Richtlinien und Verordnungen beachtet werden, beispielsweise aufgrund schärferer Emissionsschutzvorschriften neue Filtereinlagen eingebaut werden, musste man sich im Lebensmittelbereich strengeren Qualitätskontrollen unterziehen – alles im Interesse des einzelnen Konsumenten. Dies war aber der wirtschaftlichen Betätigung nicht gerade förderlich. Bestes Beispiel sind die im Jahre 2002 in das deutsche Zivilgesetzbuch aufgenommenen Normen über den Verbrauchs­güter­kauf, welche auf eine EU-Richtlinie zurückgingen. Der verkaufende Unternehmer muss nunmehr zwei Jahre lang Gewährleistungsansprüche seiner Käufer befürchten, gegenüber sechs Monaten vorher. Von dem Prinzip des BGB, den Anforderungen an die Schnelllebigkeit und Leichtigkeit des Massengeschäfts Kauf gerecht zu werden, kann nun nicht mehr zwingend die Rede sein.

Von Politik und Jurisprudenz wird demgegenüber die Einführung eines einheitlichen europäischen Zivilrechts überwiegend befürwortet. Schließlich kann man sich – global betrachtet – auf Dauer der Entwicklung der Vereinheitlichung des europäischen Rechts, wie bereits jetzt durch die Europäische Verfassung gezeigt wird, auf Dauer nicht verschließen. Nicht zuletzt ist dies auch ein Zeichen des gemeinsamen Zusammenwachsens. Um dieses Ziel wissenschaftlich
voranzutreiben, haben sich vorwiegend auf universitärer Ebene mehrere Arbeitsgruppen gebildet, welche an der Ausarbeitung eines europäischen Zivilrechts arbeiten. Allen voran ist hierbei die „Study Group on a European Civil Code“ zu nennen, welche seit nunmehr sechs Jahren an diesem Thema arbeitet und der etwa 50 Professoren aus allen Mitgliedstaaten der EU angehören. Vergleicht man die Ergebnisse, zu welchen diese Arbeitsgruppen bisher gekommen sind, so kann man sagen, dass es bisher keinen konkreten Entwurf für ein europäisches Zivilrecht gibt, welcher etwa mit dem bisherigen Ergebnis des Europäischen Konvents vergleichbar ist. Die wissenschaftliche Arbeit der „Study Groups“ beschränkte sich bisher hauptsächlich darauf, das Privatrecht verschiedener Mitgliedsstaaten zu vergleichen und zu prüfen, ob und inwieweit sich ein gemeinsamer Konsens finden und statuieren lässt. Bis es zu einem entsprechenden Entwurf kommt, welcher auch auf politischer Ebene anerkannt wird, kann es demnach noch einige Zeit, wenn nicht gar einige Jahre, in Anspruch nehmen.

 

3. Zusammenfassung

 

Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass es auf dem Gebiet des europäischen Zivilrechts verglichen mit der Erstellung einer europäischen Verfassung ungleich schwieriger ist, einen Konsens zu finden, welcher die betroffenen Interessen, d.h. sowohl die der Verbraucher als aber auch die der Wirtschaft, gleichsam berücksichtigt. Dies verdeutlicht bereits der Zeitraum, seit dem auf diesem Gebiet wissenschaftlich gearbeitet wird. Dennoch, politisch gesehen ist diese Arbeit nicht nur bedeutsam, sondern auch erforderlich, damit Europa auf allen Rechtsebenen zusammen wachsen kann. Letztlich wird auch erst dadurch das große Ziel, welches die Gründer der EWG 1957 vor ihren Augen hatten, die Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraumes, nicht nur vervollkommnet, sondern auch vollendet.


Literaturhinweise:

·         Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht: http://www.mpipriv-hh.mpg.de/deutsch/Forschung/ForschLaufProj.html#EuropPrivRecht

·         Study Group on a European Civil Code: http://www.sgecc.net/

·         European Legal Studies Institute: http://www.european-legal-studies.org/

·         Zeitschrift für GemeinschaftsPrivatRecht (GPR): http://www.gemeinschaftsprivatrecht.de/

·         Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts der Kommission für Europäisches Vertragsrecht: http://web.cbs.dk/departments/law/staff/ol/commission_on_ecl/index.html

·         The Dutch Team of a Study Group on a European Civil Code: http://ecc.uvt.nl/

·         Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen: http://www.europa.eu.int/comm/justice_home/ejn/index_de.htm

·         Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb: „Auf dem Weg zu einem europäischen Schuldrecht?“ in NJW 2004, S. 1431 (Heft 20)

·         Diskussionsforum zur Zukunft der EU: http://europa.eu.int/futurum/index_de.htm

 

RA Hans Arno Petzold
und RRef Torsten Steglich,

Info-Point Europa Hamburg