(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/05, 22) < home RiV >

Karin Wiedemann wird sich freuen, wenn zugleich mit ihrer Verabschiedung aus der MHR ein Artikel über ein Gerichtsgebäude erscheint, zumal es sich um einen Bau Fritz Schumachers aus dem Jahre 1927 nach Plänen aus dem Jahre 1909 handelt. Im Innenhof des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes befand sich ein Gefängnis, das heute als sozialtherapeutische Anstalt genutzt wird. Das Gericht wurde im Jahre 2000 restauriert. Ein historischer Sitzungssaal behielt seine Milchglasfenster.

Zum nachfolgenden Beitrag des Artikels des Direktors des AG Bergedorf sei noch erwähnt, dass das Gericht am 24.06.06 einen Tag der offenen Tür hat (von 11 bis 14 Uhr).

die Redaktion

 

150 Jahre

Amtsgericht Bergedorf

Am 01.07.2005 besteht das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf seit 150 Jahren. Deshalb sollte ein kleiner historischer Rückblick gestattet sein.

Im Jahre 1855 gehörten zum Amt Bergedorf außer dem Städtchen Bergedorf die Vierlande, das sind Altengamme, Curslack, Kirchwerder und Neuengamme, sowie das von lauenburgischem Gebiet eingeschlossene Geesthacht. Nach einer Volkszählung im Jahre 1851 soll die Einwohnerzahl 11 875 betragen haben, und zwar 2494 Männer, 2687 Frauen, 5209 Kinder und 1485 Dienstboten. Ferner wurden gezählt 1054 Pferde, 2490 Rinder, 178 Schafe, 1441 Schweine, 931 Ziegen, 1351 Stück Federvieh und 39 Bienenstöcke.

Das Amt Bergedorf war seit 1420 “beiderstädtisch“, d.h. es gehörte (bis zum 01.01.1868) den Städten Hamburg und Lübeck gemeinsam. Die Senate der Städte übten im Wechsel das Direktorium als oberste Amtsbehörde aus. Beide Senate hatten jeweils eine Visitationsbehörde aus ihren Mitgliedern gebildet, die sich einmal jährlich in Bergedorf zu einer gemeinsamen Sitzung trafen. Die Verwaltung einschließlich der Rechtsprechung in Zivilsachen und in der Bagatellkriminalität im Amt Bergedorf lag in den Händen eines Amtsverwalters, der abwechselnd von den Senaten der beiden Städte auf Lebenszeit ernannt wurde. Sein Vertreter und Gehilfe war der Amtsschreiber, wie der Amtsverwalter studierter Jurist.

Auch in Bergedorf war seit 1848 von der Bevölkerung verstärkt der Wunsch nach einer Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung vorgetragen worden. Am 02.06.1853 übersandten der Amtsverwalter und der Amtsschreiber beiden Senaten einen Brief, in dem auf die Arbeitshäufung und Überlastung des Amtsverwalters hingewiesen und eine gleichmäßige Verteilung der Amtsgeschäfte zwischen dem ersten und zweiten Beamten vorgeschlagen wurde. Im Auftrag der Senate bereiteten die Visitationsbehörden beider Städte die Trennung der Justiz von der Verwaltung vor und erließen die folgende Verordnung, die am 01.07.1855 in Kraft trat (Verordnung betreffend die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung im Amte Bergedorf, publiziert Bergedorf, den 14.06.1855):

„Da im Jahre 1848 von den derzeitigen Vertretern des Amtes und Städtchens Bergedorf der Wunsch ausgesprochen worden, die Justizpflege von der Administration daselbst zu sondern, und die demnächstige Berücksichtigung dieses Wunsches mittelst Dekretes der Hohen Senate vom 5. Juli 1848 verheißen worden; sich auch neuerdings die Zweckmäßigkeit dieser Sonderung aus anderen Gründen ergeben hat, so erlässt die Visitation des Amtes und Städtchens Bergedorf im Auftrage der Hohen Senate nachstehende Verordnung, welche jedoch in ihren einzelnen Bestimmungen als provisorisch gegeben anzusehen ist.

§ 1

Der Amts-Verwalter, als Erster Beamter, behält die Verwaltungs- und Polizei-, so wie alle sonstigen Geschäfte ganz in der Weise, wie sie ihm bisher zustanden, mit alleiniger Ausnahme der im § 2 speziell bezeichneten Gegenstände.

§ 2

Dem zweiten Beamten, welcher den Titel als Amtsrichter erhält, wird die gesamte streitige wie nicht streitige Civil-Justiz, mit Einschluß der Injurien-, der Ehesachen und des Verfahrens in Fallitsachen, soweit dafür das Amt bis dahin competent gewesen ist, die Entscheidung in Presssachen, sowie die eigentliche Criminal-Justiz übertragen; und hat er auch ferner dem Vormundschafts- und Hypothekenwesen der Vierlande und Geesthachts vorzustehen.

§ 3

In Krankheits-, Abwesenheits- und sonstigen Verhinderungsfällen haben der Amts-Verwalter und der Amtsrichter die Befugnis und Verpflichtung, sich gegenseitig zu vertreten, sofern nicht von höherer Behörde anderweitige Verfügung getroffen werden sollte.

§ 4

Zur Führung des Protocolls sowohl in Verwaltungs- und Polizeisachen als auch in den Gerichtssitzungen, wird noch ein besonderer Beamter, als Amts- und Gerichts-Actuar angestellt.

§ 5

Die nach Maaßgabe dieser Verordnung Statt findende veränderte Einrichtung tritt mit dem 1. Juli d. J. in Ausführung.“

Nach dieser Verordnung, die bis zum Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze im Jahre 1879 Bestand hatte, war der Amtsrichter in streitigen Zivilsachen ohne Begrenzung des Streitwertes zuständig, in Beleidigungsklagen sowie in Ehe-, Konkurs- und Pressesachen. In Strafsachen war er in erster Instanz für die Bagatellkriminalität zuständig, er konnte Geldstrafen bis zu 20 Talern und Freiheitsstrafen bis zu vier Wochen (später wurde das Strafmaß auf 50 Taler und drei Monate erhöht) verhängen. Wenn eine höhere Strafe zu erwarten war, hatte der Amtsrichter die Untersuchung vor dem “besetzten Gericht“, d.h. unter Mitwirkung von zwei Ratmännern des Städtchens Bergedorf als Schöffen, durchzuführen und dann die Akten zur Entscheidung der Visitationsbehörde der Stadt zu übersenden, die nicht das Direktorium führte. Insoweit war eine Trennung der Justiz von der Verwaltung noch nicht durchgeführt.

Der erste Amtsrichter mit Sitz im Bergedorfer Schloss wurde der Amtsschreiber Dr. Goldenbaum. Er war im Jahre 1815 in Lübeck geboren und aufgewachsen, hatte an den Universitäten Göttingen und Kiel studiert und promoviert. Nach der juristischen Prüfung vor dem Oberappellationsgericht der vier freien Städte Hamburg, Lübeck, Bremen und Frankfurt in Lübeck im Jahre 1839 war er zunächst als Advokat in Lübeck zugelassen Im Jahre 1846 erhielt er auf seine Bewerbung die Stelle des Amtsschreibers und wurde 1855 Amtsrichter. Dieses Amt in Bergedorf übte er über 32 Jahre aus, bis am 01.10.1879 auf Grund der Reichsjustizgesetze in Hamburg die neue Gerichtsverfassung in Kraft trat. Zum Oberamtsrichter des neu gebildeten Amtsgerichtes in Hamburg wählte der Senat Dr. Goldenbaum aus. In diesem Amt war er noch knapp 17 Jahre tätig, bis er zum 15.05.1896 im Alter von 80 Jahren auf eigenen Antrag in den Ruhestand versetzt wurde.

Rudolf Gotham