(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/06, 18) < home RiV >

 

Der Vorstand des Hamburgischen Richtervereins hat folgender, von der Arbeitsgruppe Selbstverwaltung unter der Leitung von Dr. Augner ausgearbeiteter Stellungnahme zum Selbstverwaltungspapier des DRB zugestimmt.

 

Selbstverwaltung der Justiz

 

Die Forderung des Deutschen Richterbundes nach Einführung der Selbstverwaltung der Justiz wird begrüßt und nachdrücklich unterstützt. Das Papier des Deutschen Richterbundes betreffend Selbstverwaltung der Justiz in der Fassung vom 28. Oktober 2005 wird in seinen Grundstrukturen positiv bewertet. Im Einzelnen sind jedoch, um die vom Deutschen Richterbund intendierten Ziele zu erreichen, noch zum Teil erhebliche Modifikationen erforderlich. Hierzu schlägt der Hamburgische Richterverein die folgenden Eckpunkte vor:

 

I. Justizverwaltungsrat

 

Der Justizverwaltungsrat muss binnendemokratischer Struktur sein mit der Folge, dass seine Mitglieder von den Richterinnen und Richtern gewählt werden.

 

In einer bloßen Ersetzung des Justizministers/-senators durch ein Gremium bestehend allein aus Gerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälten ist ein entscheidender Fortschritt nicht zu erblicken. Selbstverwaltung erhält ihre sachliche Legitimation nicht aus einer Stärkung verwaltender Funktionen, sondern daraus, dass die den Kern der Dritten Gewalt ausmachende Spruchrichterschaft (bzw. die in der Sache tätige Staatsanwaltschaft) ihre praktischen Erfahrungen effektiv in die Verbesserung ihrer Arbeit umsetzen kann.

 

Der (jeweilige) Justizverwaltungsrat muss einerseits effektiv arbeiten können, andererseits genügend Repräsentanz gewährleisten. Für die Zahl der Mitglieder (bestehend aus Präsidenten und anderen Mitgliedern) sollte gesetzlich eine Mindest- und Höchstzahl festgelegt werden (mindestens 6 und höchstens 14 Mitglieder). Mit dieser Flexibilität wird es ermöglicht, auf die unterschiedlichen Verhältnisse und Größenordnungen der einzelnen Bundesländer Rücksicht zu nehmen.

Die Zusammensetzung des Justizverwaltungsrates würde sich z.B. wie folgt gestalten: bei 14 Mitgliedern 6 Präsidenten und 8 andere, bei 12 Mitgliedern 5 Präsidenten und 7 andere, bei 6 Mitgliedern 2 Präsidenten und 4 andere.

 

Zum Minderheitenschutz sind weitere Einschränkungen bezüglich der ordentlichen Gerichtsbarkeit festzulegen: Bei 12 Mitgliedern dürfen z.B. nicht mehr als 3 Präsidenten der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehören.

 

Sämtliche Mitglieder des Justizverwaltungsrates müssen Berufsrichter auf Lebenszeit sein. Weitere persönliche Zugangsvoraussetzungen sind abzulehnen. Wiederwahl ist möglich. Es müssen Nachrücker bestimmt werden.

 

Für die Wahlen zum Justizverwaltungsrat können (für die Gruppen der Präsidenten sowie diejenige der übrigen Mitglieder) Vorschlagslisten aufgestellt werden durch die Berufsverbände sowie andere Richtergruppen, letztere aufgrund einer festzulegenden Mindestzahl von Unterschriften.

Die Mitglieder des Justizverwaltungsrates unterliegen in dieser Funktion einer Dienstaufsicht nicht. An die Stelle der Dienstaufsicht tritt funktional eine Kontrollgewährleistung kombiniert aus autonom zu erlassender interner Geschäftsordnung und externer Klagemöglichkeit vor dem Landesverfassungsgericht, wobei die Antragsbefugnis noch näherer Festlegung bedarf.

 

Die nicht-präsidentiellen Mitglieder des Justizverwaltungsrates sind grundsätzlich von weiterer dienstlicher Tätigkeit freizustellen. Zu klären wäre noch, ob die Freistellung anteilig zu 75 % oder vollen Umfangs zu erfolgen hat. Vorstellbar wäre auch, dies der
– jeweils zum Jahresanfang zu treffenden - Bestimmung des Justizverwaltungsrates selbst zu überlassen.

Der Justizverwaltungsrat bildet sachliche Ressorts. Aufgabenbereiche des Justizverwaltungsrates sind:

a)   Haushaltsverantwortung einschließlich Sachmittelbudget

b)   Besetzungsvorschläge für die Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten

c)   Dienstaufsicht/Beurteilungen; Aus- und Fortbildung; Referendariat / Prüfungen (weil Annex der Justiz)

d)   Sachmittelverwaltung

e)   EDV.

„Controlling“/„Qualitätssicherung“ können entgegen dem Papier des Deutschen Richterbundes als Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit nicht stattfinden und entfallen folglich. Auch die Punkte d) und e) S. 5 des Papiers des Deutschen Richterbundes entfallen an dieser Stelle. Sie stellen eigenständige Aufgabenbereiche nicht dar.

 

Der Justizverwaltungsrat benötigt als verwaltungsmäßigen Unterbau sinnvollerweise einen Geschäftsführer/Generalsekretär. Durch geeignete Maßnahmen ist eine faktische Verselbständigung des Geschäftsführers/ Generalsekretärs zu vermeiden.

 

II. Richterwahl

Ein entscheidender Gradmesser für die Unabhängigkeit der Dritten Gewalt ist die Frage, wer welchen Einfluss auf die Auswahl des richterlichen Personals (Einstellung, Beförderung) hat.

 

Die Auswahl teilt sich in zwei Abschnitte, nämlich die Auswahl für einen Wahlvorschlag (einschließlich der zugrunde liegenden Beurteilung von Leistung und Befähigung) zum einen und die für die Ernennung maßgebliche Wahlentscheidung zum anderen.

 

Effektive Richterliche Selbstverwaltung im ersten Abschnitt erfordert, dass zu der Zuständigkeit des Justizverwaltungsrates die Kompetenz "vor Ort" in Form eines Präsidialrates hinzutritt.

 

Für den zweiten Abschnitt erscheint - nach den Erfahrungen mit der Hamburger Praxis - ein Richterwahlausschuss geeignet. Der Zielkonflikt zwischen demokratischer Legitimation einerseits und Herauslösung aus tagespolitischen Interessen andererseits dürfte durch eine exakt hälftige Zusammensetzung des Gremiums aufzulösen sein. Die Hälfte der (rechtskundigen) Mitglieder wird im Wege der Verhältniswahl durch das Parlament bestimmt. Die andere Hälfte (sowie Vertreter - ohne Stimm- und Rederecht, aber mit dem Recht zur Teilnahme an Beratungen) wird aus der Mitte der Richterschaft gewählt.

 

Die Vertreter der Richterschaft werden in einer Weise bestimmt, dass zu den ständigen Mitgliedern im Ausschuss noch Vertreter aus der jeweils betroffenen Fachgerichtsbarkeit hinzutreten.

 

Das Gremium entscheidet grundsätzlich mit einfacher Mehrheit. Der Justizverwaltungsrat hat die Entscheidung umzusetzen.

 

III. Beteiligungsrecht

 

Wie richterliche Beteiligung über Richterräte im neuen System der Justiz-Selbstverwaltung geregelt werden sollte, ist im Detail in Abhängigkeit von dessen Ausgestaltung (Organe, deren Zusammensetzung, Kompetenzen) zu beantworten.

 

Allgemein dürfte gelten, dass die Funktion der Beteiligungsrechte weitgehend unverändert bestehen bleibt, weil bzw. soweit der Ausbau der Selbstverwaltung auf die Zentralebene abzielt und auf dieser die Repräsentanz der Praxis nur sehr punktuell (durch wenige Richter) erfolgt. Denn auch dann müssen Führungsentscheidungen mit der Praxis vor Ort rückgekoppelt werden, muss die Sicht der Betroffenen zur Geltung gebracht werden und sollte die mit einer Beteiligung verbundene Chance zu verbesserter Akzeptanz und Umsetzung von Entscheidungen genutzt werden.

Von dem Justizverwaltungsrat wird moderne Führung erwartet; für moderne Führung aber ist die Beteiligung der Mitarbeiterschaft keine Last und keine Einbahnstraße, sondern ein aktiv zu nutzendes Instrument der Entscheidungsoptimierung und -implementierung.

 

Auf der Ebene des Justizverwaltungsrates können allerdings mit Blick auf die richterliche Repräsentanz dort die Kompetenzen eines zentral zuständigen "Hauptrichterrates" auf eine Mitwirkung beschränkt bleiben.

 

Die (in Hamburg) herkömmlichen Gegen-stände der Beteiligung dürften zu ergänzen sein um die Mittelbewirtschaftung, Datensammlungen sowie allgemeine Planungen. Dies hat allerdings zur weiteren Voraussetzung, dass die Funktionen des Präsidialrates nach dem HmbRiG weiterhin von einem entsprechenden Partizipativ-Organ wahrgenommen werden; anderenfalls hätte der Richterrat auch diese Aufgaben im Bereich der Personalauswahl zu übernehmen.

 

Dementsprechend stellt sich der neue Zuständigkeitskatalog in etwa wie folgt dar:

 

Die Richterräte sind zuständig für die allgemeinen, sozialen, personellen und sonstigen Angelegenheiten; diese Zuständigkeit bezieht sich auf Maßnahmen der jeweiligen Gerichte oder anderer Einrichtungen der Verwaltung.

 

Konkrete Zuständigkeiten sollten bestimmt werden für die Bereiche:

„Richterlicher Arbeitsplatz"

·        Gestaltung der Arbeitsplätze

·        Arbeitsmittel EDV

(bislang nur unter dem Gesichtspunkt der wesentlichen Änderung und der Eignung / Bestimmung zur Leistungsüberwachung erfasst.

„Gericht insgesamt / Umfeld des Arbeitsplatzes"

·        Aufstellung von Haushaltsentwürfen

·        Ordnung im Gericht

·        Verhütung von Dienstunfällen

·        Umbau, Verlegung des Gerichts

·        Mittelbewirtschaftung

·        Berichtswesen

·        Einbeziehung bei Einstellung des Führungspersonals des nichtrichterlichen Bereichs

·        Information über Planungen

 „Personalwirtschaft im Alltag"

·        Eildienst

·        Urlaubspläne, Antragsversagung

·        Teilzeit

·        Nebentätigkeit

·        Disziplinarverfügungen

·        Ersatzansprüche

„Personalentwicklung“

·        Fortbildung (Platz-Verteilung, Inhalte, Referenten)

·        Beurteilungsrichtlinien

·        Stellenausschreibungen

·        Abordnungen

·        Einsatz in Gerichtsverwaltung

·        Proberichter - Probezeitverlängerung, Entlassung.

Die Zuordnung der verschiedenen Beteiligungsformen (Mitbestimmung, Mitwirkung, Beratungs- und Informationsansprüche) bleibt ebenso der weiteren Diskussion vorbehalten wie die Frage, wie die Letztentscheidungskompetenz im Mitbestimmungsverfahren auszugestalten ist.

Vorstand des Hmb. Richtervereins (Beschluss vom 29. August 2006)