(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/06, 23) < home RiV >

Von Hamburg nach Kiel

 

Vor - wie mir scheint - vielen Jahren schrieb ich in der MHR über Motivation und Anfänge meines Ausstiegs aus der allgemeinen und besonderen Politikverdrossenheit[1]. Ich nahm dabei Anleihe bei der alten Schulfunksendung "Neues aus Waldhagen“, der ich meine frühkindliche politische Bildung verdanke. Nicht gar so basisnah und beträchtlich subtiler in den Umgangsformen erweist sich die Kieler Landespolitik, in die ich nunmehr seit 1 ¼ Jahren einbezogen bin.

Aus der Gelassenheit richterlichen Bewußtseins geriet ich jäh in Entscheidungszwang, eben diese für ein politisches Amt in der neuen Kieler Großen Koalition aufzugeben, und zwar endgültig, weil die Hansestadt Hamburg eine Beurlaubung ablehnte. (Wie war das doch gleich? Bürger in die Politik?) Zwei Tage, deren Dramatik ich in lebhaftester Erinnerung behalten werde, standen mir zur Entscheidung zur Verfügung. Die Kollegen de Grahl und Wendt litten mit und rieten entschieden ab. Mein Richtergatte stellte klug anheim …

Niemals ist mir ein Entschluß schwerer gefallen als derjenige, den Richterberuf endgültig aufzugeben. 29 Jahre sind eine lange und prägende Zeit. Warum also? Es war eine Mischung aus Konseqenz in der Fortsetzung des politisch Begonnenen und Neugier auf Neues, vor allem aber der Gedanke, ich könne es eines Tages bedauern, einer Herausforderung ausgewichen zu sein.

Von der Vorsitzenden Richterin am Landgericht Hamburg zur Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein zu mutieren, bedeutet in fast jeder Hinsicht, das Gegenteil des Bisherigen zu erleben: Statt inhaltlicher und zeitlicher Unabhängigkeit gibt es die Notwendigkeit steter Abstimmung mit dem überaus einfallsreichen Minister Dietrich Austermann und einem weitgehend fremdbestimmten Terminkalender, verbunden mit täglicher Kündigungsfrist. Statt die gefundene Lösung direkt in eine Entscheidung zu verwandeln, bedeutet es, den Konsenz der anderen Ressorts, der Staatskanzlei, der eigenen Landtagsfraktion und der des Koalitionspartners, von Verbänden und Organisationen zu suchen. Nicht zu vergessen die Personalvertretungen, deren Einfallsreichtum beträchtlich ist.

„Wieso kannst Du das?“ fragte ein früherer Kollege, den ich zufällig traf. Ich entschloss mich, die Frage als wirkliches Interesse und nicht als Zweifel an meinen Fähigkeiten zu nehmen und antwortete, es sei nicht schwierig, weil ich mit dem, was in dem neuen Amt gefordert werde, jeweils im einzelnen schon zuvor vertraut gewesen sei – neu sei nur die Zusammenfassung.

Aber was ist eigentlich „das“? Hierüber für MHR zu berichten, bat mich die Vorsitzende des Hamburgischen Richtervereins (der mich übrigens ungeachtet gewisser Verdienste um sein Erscheinungsbild satzungsgemäß sofort ausmusterte).

„Das“ bedeutet Amtschefin des Ministeriums mit 330 Mitarbeitern und einem Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr mit 1500 Mitarbeitern zu sein. Der Zuschnitt des Ministeriums ist einzigartig in der Landschaft der Länderregierungen: Wissenschaft, Wirtschaft, Verkehr – wir bedienen drei Länderministerkonferenzen. Alle Hochschulen, Fachhochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen des Landes gehören im Bereich Wissenschaft dazu. Energiewirtschaft und Technologie machen eine weitere Abteilung aus. Für diese beiden Bereiche gibt es einen zweiten Staatssekretär.

Der eigentliche Wirtschaftsteil befaßt sich mit den Förderprogrammen aus Mitteln der EU, des Bundes und des Landes, der Wirtschaftsförderung, Standortmarketing, Außenwirtschaft, Tourismus, Ansiedlung neuer Unternehmen, insbesondere im Industriegebiet Brunsbüttel, Gestaltung der Metropolregion, Elbvertiefung.

Unser Haus ist auch Verkehrsministerium, d.h. Landes- und Bundesstraßen (Bau der A 20 z.B.), Häfen (Kiel, Lübeck, Brunsbüttel), Flughäfen (Kiel, Lübeck-Blankensee, Westerland), Öffentlicher Personennahverkehr, Bahnverkehr gehören dazu.

Ferner liegt im Ministerium die Zuständigkeit für Berufliche Bildung, Aus- und Fortbildung, Wirtschaftsordnungsrecht wie Vergaberecht, Bankenaufsicht oder Ladenschluss, öffentlich-private Partnerschaften oder für so aparte Sujets wie die Eichämter oder das Schornsteinfegerwesen, um nur einige Bereiche zu nennen. Das Haus führt gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern eine Kampagne für familienfreundliche Personalpolitik in kleinen und mittleren Unternehmen oder fördert Ausbildungsplatzakquisiteure.

Über Abwechslung läßt sich nicht klagen. Das Berufsleben besteht aus Sitzungen wie in jeder Verwaltung (Abteilungsleiter, Staatssekretäre, Kabinett, Projektgruppen, Lenkungsgruppen, Personalvertretungssitzungen, Terminrunden, Lagebesprechungen), Teilnahme an Landtagssitzungen, Fraktionssitzungen, Ausschusssitzungen, aus Betriebsbesichtigungen, Grußworten, Reden vor Verbänden und Vereinigungen, Interviews, Dienstreisen, die mich bisher nach Posen, Königsberg, Tallin, Wladiwostock, Glasgow, Kobe, Hangzhou, Ningbo, Tsingtau, Shanghai führten. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft droht die Gründung eines Büros in Delhi an, was vermutlich eine weitere Reise auslösen wird. Ich habe Werften und Ölbohrinseln besucht, Schiffe besichtigt und getauft, Radwege und Straßen eingeweiht, Grundsteine gelegt, Rammschläge für Hafenkais ausgelöst. Die Tatorte erstrecken sich von Westerland nach Büchen, von Flensburg nach Brunsbüttel, Berlin, Halle, Warnemünde… . Gelegentlich bleibt Zeit für Schreibtischarbeit, die für gewöhnlich aus Zeitmangel weitgehend im Auto erledigt werden muß.

Bei alledem hilft die gute alte STOP-Theorie, deren Elemente schon an der Tür meines Richterzimmers klebten: „Stop, organize, set priorities“. Und es hilft ein kritischer Abstand zur Politik, zu den vermeintlich Mächtigen, zu sich selbst. Lange eingeübte innere Unabhängigkeit bewahrt vor schleimiger Angepasstheit. Ohne Schaden zu nehmen, ist eine solche Tätigkeit nur in Balance zwischen handwerklicher Sauberkeit und Gelassenheit zu bewältigen. Neid, Missgunst, Intrige gibt es selbstverständlich nicht im beschaulichen Kiel – auch keinerlei Widrigkeiten im Umgang der Koalitionspartner miteinander; vor allem darf man nichts persönlich nehmen.

Es ist schön an der Kieler Förde. Das Licht der Ostsee, der Hafen, die Fährschiffe nach Oslo und Göteborg, der Marinehafen, in dem die halbe deutsche Flotte um die Gorch Fock versammelt ist. Segelboote überall, Events an der Kiellinie. Bei gutem Wetter verbringt man – so man hat – die Mittagspause am Wasser, nicht ohne zuvor das Eis aus der Zippnerschen Landtagskantine mitgenommen zu haben. Es geht uns gut. Und, wie der Ministerpräsident zu sagen pflegt, „das Leben ist schön.“

Karin Wiedemann


[1] MHR 4/1995, 17 (Anmerkung der Redaktion)