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Auch aus der Ferne erreichen uns trauernde Worte. Sigrun v. Hasseln, die Vorsitzende des Bundesverbandes der Jugendrechtshäuser Deutschland e.V., ist gebürtige Hamburgerin und war Hamburgische Rechtsreferendarin und Richterin des Landgerichts Hamburg (1980/81) bis sie nach weiteren Stationen in Niedersachsen (1981-1998) auf Anregung des BMJ 1998 in die Brandenburgische Justiz wechselte und seither als Vorsitzende Richterin am Landgericht Cottbus tätig ist.

 

Roland Makowka oder:
Das humane Gewissen

 

Nachruf für einen „Dienstleister für Menschen“

 

Schon bei meinem Dienstantritt als Proberichterin beim Landgericht Hamburg am 1. September 1980 habe ich von Roland Makowka viel gelernt. Es herrschte Hektik. Teile des Gebäudes waren zugige Baustelle. Bedienstete, gehetzt wirkende Anwälte und Rechtsuchende bahnten sich ihren Weg zwischen donnernden Presslufthämmern und Baustaub. In einer Art „Taubenschlag“ fand ich schließlich einen gestressten Personalrichter. Eine Richterin hatte sich in der Nacht das Leben genommen. Er musste für sofortigen Ersatz sorgen. Das Telefon schrillte pausenlos. Anwälte und Bürger, die sich verlaufen hatten sowie Kollegen mit Beschwerden über nicht funktionierende Wasserhähne gaben sich die Türe in die Hand. Und nun kam auch ich noch. ... „Am besten bringe ich Sie erst mal zum Präsidenten, den Rest machen wir nachher ...“. Doch in der „Präsidentensuite“ war es nicht ruhiger. Schon im Eingangsbereich redeten gleich mehrere Kollegen mit sichtlich dringenden Problemen durcheinander. Sie sprachen dann jeweils kurz mit einer Person, bei der es sich wohl um den Präsidenten handelte und verließen dann nach und nach die Räumlichkeit. Als schließlich der Blick zur Sitzecke im hinteren Teil des Hauptraumes frei wurde, sah ich auch dort Gäste sitzen. Keine geringere als die damalige Justizsenatorin und zwei oder drei ranghohe Begleiter aus der Justiz sahen dem Treiben – geduldig wartend - zu. Spätestens jetzt fühlte ich mich völlig fehl am Platz und wandte mich zur Tür. „Nein, nein bleiben Sie nur.“ Derjenige, den ich für den Präsidenten gehalten hatte, kam auf mich zu. „Makowka“ stellte er sich vor. Ich äußerte, ein anderes Mal kommen zu wollen, wenn er nicht gerade Besuch von der Justizsenatorin habe. „Bleiben Sie nur“, wiederholte er und fügte flüsternd hinzu: „Die hat sich nicht mal richtig angemeldet.“ Er hieß mich dann als neues Mitglied des Landgerichts willkommen, führte in aller Ruhe das Begrüßungsgespräch und stellte mich schließlich seinen ranghohen, wartenden Gästen vor.

Seine Gelassenheit mitten im Chaos und die schlichte Einhaltung der Reihenfolge im Pflichtenkatalog ohne Ansehung der Person - also zunächst Begrüßung der angekündigten neuen Proberichterin und danach erst das Gespräch mit der nicht angekündigten Justizsenatorin – wirkten so zwingend, dass niemand es wagte, das Gespräch mit der Justizsenatorin anzumahnen und die Proberichterin erst mal in ihr Zimmer zu schicken.

 

Auch später setzte sich Makowka immer zuerst für seine Richter ein. Die richterliche Unabhängigkeit gehörte für Makowka zu den größten Errungenschaften unserer Demokratie, an die er immer wieder erinnerte. Nichts fürchtete er so, wie politisch opportun handelnde Richter[1], was vor dem Hintergrund seiner eigenen Biographie besonders verständlich wird. Der am 22. Dezember 1930 in Ostpreußen geborene Roland Makowka musste während seiner gesamten Kindheit von 1933 – 1945 täglich die Folgen staatlichen Machtmissbrauchs verinnerlichen. Sein Vater war mit der Machtergreifung Hitlers als Bürgermeister von Wehlau (Ostpreußen) abgesetzt worden, weil er eine Versammlung der NSDAP auf dem Marktplatz verboten haben soll. Die Familie lebte fortan in Armut und täglicher Angst vor dem KZ. Die dramatische Flucht aus Königsberg am 8. April 1945 überlebten der 14 Jahre alte, vom Kugelhagel getroffene, Roland Makowka und seine Familie zwar. Der Aufbau der Existenz im Nachkriegsdeutschland in der neuen Heimat Lübeck/Hamburg war jedoch nur mit großen Entbehrungen möglich. So klopfte Makowka u.a. die Teppiche Besserverdienender, um sein 1951 in Hamburg begonnenes Jurastudium zu finanzieren.[2]

 

Makowka hatte diese Erlebnisse nie vergessen. Seine ganze Persönlichkeit war von Achtung vor dem anderen Menschen und von Bescheidenheit geprägt. Ob ein Minister oder ob ein Obdachloser nach dem Weg fragte; Roland Makowka behandelte jeden stets mit dem gleichen Respekt. So setzte sich Makowka auch für ein „humanes Gericht“ ein, das als Dienstleistungsunternehmen für die Menschen da ist.[3] Konkret beschrieb er in seinem Buch „Das humane Gericht“ auf 83 Seiten, wo es Verbesserungen geben muss; angefangen vom - nicht ausreichend vorhandenen - Gerichtsparkplatz bis zum Bildschirm der Gerichtsschreibkraft.[4] Die Forderungen, die er an Richter und Gerichte stellte, hat er, soweit möglich, in der Praxis umgesetzt. Ob es das Engagement für junge Kolleginnen und Kollegen war, wie ich es selbst vor über 26 Jahren erlebte, die Öffnung der Gerichte nach außen, wie es u.a. die 1992 durchgeführten Hamburger Justiztage belegen, oder der Richteraustausch mit dem Ausland. So war Makowka viele Jahre Präsident der Vereinigung der Juristen aus der Bundesrepublik Deutschland und der Republik China (Taiwan) und bis zu seinem Tode deren Ehrenpräsident.

 

Trotz steiler Justizkarriere und vieler hoher Ämter war sich Makowka selbst in seiner 15 Jahre langen Amtszeit als Präsident des Landgerichts (1980-1995) nie zu schade, auch selbst Hand anzulegen. U.a. wird die Geschichte überliefert, dass Makowka, als er gerade mit Hammer und Nägeln ausgerüstet, Bilder auf einem Flur des Landgerichts aufhängte, von einem Bürger nach dem Weg zum Präsidenten gefragt wurde. Als er dem verblüfften Bürger sagte: „Sie brauchen nicht weiter zu suchen. Ich bin der Präsident“, soll dieser geantwortet haben: „Wenn Sie der Präsident des Landgerichts sind, dann bin ich der Kaiser von China.“

 

Im Rahmen seines großen rechts- und justizpolitischen Engagements war Makowka aktiv im Deutschen Richterbund tätig. Von 1976-1996 war er Vorsitzender und seit 1996 Ehrenvorsitzender des Hamburgischen Richtervereins. Die Bierabende, bei denen junge Assessoren zu neuen DRB-Mitgliedern geworben wurden und die vielen gemeinsamen Fahrten sind noch heute Gesprächsstoff.

 

In Umsetzung des Prinzips Verantwortung engagierte er sich seit Ende 1991 auch aktiv an weitergehenden Überlegungen für ein innovatives, zeitgemäßes humanes Recht zur Jahrtausendwende. Neben Veröffentlichungen[5] gründete er in diesem Zusammenhang am 1. September 1994 mit Prof. Dr. Bernd Guggenberger und mir den bundesweit tätigen „Verein Recht und Gesellschaft e.V.“, dessen stellvertretender Vorsitzender er 10 Jahre lang war.[6] Eine wichtige Prämisse für die vielgestaltigen Überlegungen war die Rechtsphilosophie des am 11. April 2001 verstorbenen Schirmherrn des Vereins Recht und Gesellschaft, Prof. Dr. Dr. Arthur Kaufmanns, die wiederum auf der Rechtsphilosophie seines Lehrers Gustav Radbruch aufbaute.[7]

 

Ob im März 1992 Treffen in Bremen und Hamburg, ob im Herbst 1993 Brainstorming in der Wingst, ob im Frühjahr 1994 Vortrag in Oldenburg mit Guggenberger, ob 1995 Kriminalitätstagung in St. Augustin, Mitgliederversammlung auf der Loreley oder Treffen in Rotenburg, ob 1996 Aktionstag „Jugend hat Recht“ in Oldenburg, ob 1997 Mitgliederversammlung in Ihlow b. Strausberg, ob 1998 Aktionen in Bad Boll, in der Wingst oder Aktionstag „Frieden durch Recht“ in der Schweriner Justiz, ob 1999 Aktionstage in Cottbus oder 2000 Mitgliederversammlung in Berlin. Immer war Roland Makowka aktiv anwesend. Auch an vielen Juristen-, Richter-, oder gar Jugendgerichtstagen gab es Treffen mit ihm.

Weiterhin war Roland Makowka eine der treibenden Kräfte in der sich ab 1996 im Rahmen des Vereins Recht und Gesellschaft e.V. entwickelnden Jugendrechtshausbewegung[8]. So war er auch Gründungsmitglied des im Mai 2002 in Berlin gegründeten Bundesverbandes der Jugendrechtshäuser Deutschland e.V.[9] und begleitete diesen Verband ebenfalls bis zuletzt als Mitglied des Beirats. Etwa eine Woche vor seinem Tod berichtete ich mit ihm über die Neugründung von Jugendrechtshäusern in Bielefeld am 4. Dezember 2006, in Süddeutschland und in Hamburg Anfang 2007. Natürlich wollte er bei der Gründung des Jugendrechtshauses Hamburg-Mitte (Stintfang) dabei sein. Ebenso unterstützte er die Entwicklung der Rechtspädagogik[10] zum Lehrfach an einer Universität.

 

Im Programmheft zum Aktionstag „Jugend hat Recht“ am 8. Juni 1996 in Oldenburg schrieb Makowka in seinem Beitrag zum „Fairplay – Recht und Grenzen“:

„... Gerade unsere vom kapitalistischen Gewinnstreben beherrschte Gesellschaft befindet sich auf dem gefährlichen Weg, alle nur denkbaren gesetzlichen Möglichkeiten auszunutzen bzw. durch die Lücken zu schlüpfen, die das Gesetz gerade noch gelassen hat. Wenn Fairplay gebietet, den anderen nicht übers Ohr zu hauen, dann ist das gegenteilige Bestreben im Vormarsch. Anstelle von Fairplay könnte man auch „sozial“ setzen. Wer nicht Fairplay übt, handelt unsozial oder gar asozial. Das soziale Gewissen sollte in den Köpfen vieler wieder die Oberhand gewinnen. Wäre das der Fall, dann wäre unsere Welt vom Gedanken des Fairplay mehr beherrscht ...“

Roland Makowka war ein echter Freund, zu dem jeder in jeder Lebenssituation kommen konnte; egal wie verfahren die Situation auch war. Er war unendlich gütig, nachsichtig und hilfsbereit. Als ich im Jahr 2000 einige Monate stationär im UKE verbringen und dort ein in Cottbus begonnenes Strafverfahren wegen vielfach versuchten Mordes fortsetzen musste, das wegen der Gefährlichkeit der Täter nicht ausgesetzt werden konnte, scheute er sich nicht einmal, persönlich für die korrekte Aufhängung der Terminzettel im Krankenhaus zu sorgen und beruhigend auf die Presse einzuwirken. Obwohl bereits selbst krankheitsbedingt erheblich geschwächt, besuchte er im Frühjahr 2006 mehrfach meinen ältesten Sohn Bernhard im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, der dort mehrere Wochen Patient war. Im Spätsommer 2006 beriet er eine Rechtsassessorin aus Cottbus ausführlich über Möglichkeiten, im Rahmen unserer „Akademie für Rechtskultur und Rechtpädagogik“[11] Seminare durchzuführen.

 

Die tiefe Anteilnahme am Einzelschicksal anderer veranlasste Roland Makowka zudem, nach seiner Pensionierung Ende 1995 als Ombudsmann des Universitätskrankenhauses Hamburg Ansprechpartner für Patientenbeschwerden zu werden. Die Stelle war im Zuge des so genannten „Strahlenskandals“ geschaffen worden. Neben der Beratung von Patientinnen und Patienten, aber auch Ärzten und Pflegekräften gehörten zu seinen Aufgaben die Überprüfung der Berechtigung von Beschwerden und das Abstellen von Missständen. Unvergessen wird sein engagierter Einsatz bei der Verbesserung der Arzt-Patientenbeziehungen bleiben. Mehr als 2000 Fälle hat Makowka in den vergangenen elf Jahren betreut. Roland Makowka wurde deshalb am 16. Oktober 2006 vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes in Silber verliehen.

 

Mit Roland Makowka, der sich unermüdlich für eine unabhängige, humane Justiz, für ein innovatives humanes Recht sowie für den Aufbau der Jugendrechtshausbewegung an der Schwelle des 21. Jahrhunderts kämpft, und der sich für sozial Schwache und (Tod) Kranke bis wenige Tage vor seinem Tod einsetzte, haben wir einen wirklichen Freund verloren. Wir werden Roland Makowka nie vergessen!

 

Sigrun v. Hasseln


[1] Makowka: Effektuierung der Justiz ohne Bevormundung durch die Legislative oder: Sind Richter Zinnsoldaten der Macht? DRiZ 1992, 207 f.

[2] Makowka: Jugenderinnerungen. Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins Nr. 1/ 2006, S. 15 ff

[3] Makowka: Justiz - ein zeitgemäßes Dienstleistungsunternehmen?, DRiZ 1987, 258 f.; ders. Gefahren für eine effektive Anwendung des Rechts, DRiZ 1991, 127 f.;

[4] Makowka: Das humane Gericht. Ein Beitrag zur Entbürokratisierung der Gerichte. Hamburg 1991 = www.richterverein.de/j2000/mako.pdf

[5] z.B. als Autor „Als der Staat arm geworden“, veröffentlicht in „Das Jugendrechtshaus 2000“. Als Mitgesamtherausgeber der beim Nomos Verlag, Baden-Baden, erscheinenden Reihe „Interdisziplinäres Forum: Bürger und Recht 2000“; als Mitherausgeber und Mitautor des Bandes „Konzertierte Aktion gegen Kriminalität“

[6] http://www.hasseln.de/rechtundgesellschaft.html

[7] Arthur Kaufmann: Rechtsphilosophie, 2. Aufl. München 1997

[8] v. Hasseln u.a., Makowka: Das Jugendrechtshaus 2000. Orientierungsstätte für junge Menschen in der sozialen Stadt des 21. Jahrhunderts. Berlin 2000

[9] www.jugendrechtshaus.de

[10] v. Hasseln u.a.: Rechtspädagogik. Von der Spaß- in die Rechts- und Verantwortungsgesellschaft. Berlin 2006

[11] www.afrr.de