(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/08, 19 ) < home RiV >

Rudolf Wassermann gestorben

 

Am 13. Juni 2008 ist Rudolf Wassermann im Alter von 83 Jahren in Goslar gestorben – und hat nun wohl manches, was er sich auf seine alten Tage eigentlich noch von der Seele hatte schreiben wollen, mit ins Grab genommen. Da unsere Mitteilungen schon zweimal an ihn und sein Wirken erinnert haben[1], mag es heute bei der Zitierung eines ehrenden Wortes sein Bewenden haben, das Prof. Klaus F. Röhl von der Universität Bochum für ihn findet:

 

Als junger Richter – das war wohl 1968 oder 1969 – bin ich Wassermann in Kiel auf einer Veranstaltung des Deutschen Richterbundes begegnet und habe mit ihm über seine These von der politischen Qualität des Rechts und der Rechtsprechung gestritten. Später habe ich versucht, durch die Tat Abbitte zu tun und mich an dem von ihm herausgegebenen Alternativkommentar zur ZPO beteiligt. Längst war er für mich ein leuchtendes Beispiel dafür geworden, wie ein Einzelner durch furchtlose Leidenschaft die Dinge in Bewegung bringen kann. Mit schier unbegrenzter Arbeitskraft verband er in seiner Person die Rolle des Richters, des Rechtspolitikers und des Wissenschaftlers. Ich werde ihn in Erinnerung behalten als die personifizierte Interdisziplinarität“[2].

Aber doch soviel zu seiner „schier unbegrenzten Arbeitskraft“: Rudolf Wassermann war schon seit Jahren ein schwer kranker Mann, seiner Schmerzen und der Wirkung starker Medikamente wegen oft nur für wenige Stunden des Tages (gelegentlich auch tagelang gar nicht mehr) imstande zu lesen, Texte zu konzipieren und sie niederzuschreiben. Das Korsett, in das ein übermächtiges Schicksal ihn gepresst hatte, wurde enger und enger. Aber er widerstand: arbeitete, las und schrieb in den ihm konzedierten Phasen mit so unglaublicher Willenskraft und Konzentration, dass er nicht weniger – nein: viel mehr! – zuwege brachte als manch’ ein Sterblicher sonst. Blättert man sich durch die letzten sieben Jahre (also etwa 30 Hefte) seiner Vierteljahresschrift „Recht und Politik“, so findet man ihn als Autor in jeder Nummer mehrfach: als Verfasser langer oder knapper Aufsätze und trefflicher Glossen – im Heft 2/2008 allein sechs mal: auch mit der „Randbemerkung“ „Bundesverfassungsgericht wieder komplett“[3], wo er mit harten Worten an den schäbigen CDU-Boykott gegen den Kandidaten Horst Dreier erinnert[4] -, und als Autor kluger Buchbesprechungen, die zeigen, dass dieser Rezensent „seine“ Literatur nicht etwa nur obenhin durchflogen, sondern sie genau, umfassend kundig und kritisch studiert hatte; und man fragt sich: wann eigentlich?!

 

„Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen“, hatte Friedrich Nietzsche befunden: Eine – heroische! - Definition, die es verdient, in Stein gemeißelt zu werden. Hätte Wassermann seine Existenz nicht nach ihr, sondern der sanften Verheißung der WHO (Weltgesundheitsorganisation) von 1946 ausgerichtet, die Gesundheit zum „Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens – und nicht allein des Fehlens von Krankheit und Gebrechen“ – erklärt, hätte er in seinen letzten, tatsächlich besonders fruchtbaren Jahren kaum noch etwas zuwege gebracht. Die jetzt viel erörterte Frage, ob der Geist auf dem Kutschbock des Lebens reitet und dem Körper seine Befehle erteilt, oder der Wille illusionär ist und nichts weiter kann und tut, als neuronalen Impulsen zwangsweise seinen Segen zu erteilen und sie automatisch in Handlung „umzusetzen“[5], ist hier durch das gelebte Leben im Sinne der Willens- und Geistesmacht überzeugend entschieden worden. Nachdem Rudolf Wassermann seine Feder schon endgültig hatte fortlegen müssen, fand sich auf seinem Schreibtisch seine letzte, gerade noch fertiggestellte, handkorrigierte Arbeit – eine Rezension des von Münch’schen Werks über die deutsche Staatsangehörigkeit[6]. Die wird also – als sein Abschiedsgruss an die Leser - demnächst in „seinem“ Vierteljahresheft zu lesen sein.

 

Günter Bertram


[1] vgl. Wassermann – ein Urgestein der Justiz, MHR 2/2003, S. 15 - 20, Frankfurter Turbulenzen, MHR 4/2003, S. 13 - 20

 

[2] Wassermann hatte sich als Präsident des OLG Braunschweig tatkräftig für das „Loccumer Modell“ der niedersächsischen einphasigen Juristenausbildung  eingesetzt: „interdisziplinär“ insofern, als darin u.a. die Sozialwissenschaften stärkere Berücksichtigung fanden, ohne dass dadurch der Charakter der Jurisprudenz als Normwissenschaft (wie z.B. im hessischen „Wiesbadener Modell“) verloren ging. Zum Wirken Walter Stiebelers in ähnlichem Sinne hier in Hamburg („Hamburger Modell“) vgl. Joachim Metzinger: Erinnerung an Walter Stiebeler, MHR 4/2007, 7 (9)

 

[3] aaO. S. 108

 

[4] dazu auch  MHR 1/2008, S. 17; zuletzt wieder, höchst instruktiv, Michael Stolleis im Merkur vom August 2008 (Nr. 711): Konzertierter Rufmord – Die Kampagne gegen Horst Dreier

 

[5] Die Frage ist so alt wie menschliche Selbstreflexion überhaupt und in bloßer Theorie wohl nicht entscheidbar. Durch ein paar argumentativ immer wieder in Anspruch genommene Messungen der Hirnforscher Benjamin Libet und Kollegen von 1983 ist die Diskussion wieder belebt worden und hat mit ihrem Bestreiten der Willensfreiheit (führend u.a. Wolf Singer) natürlich längst auch die Rechtswissenschaften („Freiheit und Verantwortung“ usw.) erreicht. Die darüber entstandene und ständig wachsende Literatur ist unübersehbar. Grundlegend Hans Jonas: Macht oder Ohnmacht der Subjektivität? Das Leib-Seele-Problem im Vorfeld des Prinzips Verantwortung, Frankfurt 1981, Aus jüngster Zeit etwa Wolf Singer/Peter Janisch: Wie will man die Freiheit des Geistes beweisen? Ein Briefwechsel über die Hirnforschung, FAZ vom 17.07.2008.

 

[6] „Mehr als ein juristisches Lehrbuch – Bemerkungen zu von Münchs Deutscher Staatsangehörigkeit“; vgl. auch MHR 2/2008, S. 6