(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/09, 21) < home RiV >

 

Herbstliche Impressionen mit Literatur und Recht

 

- Bericht über eine Tagung zu Literatur und Recht des Nordkollegs in Rendsburg
vom 18. - 20.09.2009 -

 

Wer kennt das Nordkolleg? Diejenigen, die ich ansprach, ob sie Interesse hätten, an einer Tagung des Nordkollegs zu Literatur und Recht teilzunehmen, kannten das Nordkolleg jedenfalls nicht. Dabei ist es eine Tagungs-stätte, die sich durch vielfältige kulturelle Angebote auszeichnet[1]. Auch ich als „Erstbesucherin“ war gespannt, was mich auf der Tagung, die auch auf der Terminseite der MHR angekündigt worden war, erwartete.

Schon die Fahrt mit der Eisenbahn von Hamburg nach Rendsburg über die berühmte alte Eisenbahnbrücke mit der immer noch betriebenen Schwebefähre war bei herrlichem spätsommerlichem Wetter ein Vergnügen.

Der Tagungsort in der Nähe des Nord-Ostsee-Kanals steigerte das Vergnügen, denn: die Tagungsstätte, in den historischen Backsteinbauten einer 1921 gegründeten kolonialen Frauenschule untergebracht, liegt wie verwunschen in einem wunderbaren Obst- und Blumengarten. Der Duft reifer Äpfel und die Pracht einer liebevoll gestalteten Gartenanlage sorgten dafür, dass der anreisende Neuling von der besonderen Atmosphäre sofort eingefangen wurde.

Noch vor der offiziellen Eröffnung der Tagung konnte ich Wiedersehen feiern mit einem den Juristen - insbesondere auch den Hamburger Richtern - vertrauten Künstler: der Maler Philipp Heinisch[2] eröffnete seine gemeinsam mit F.W. Bernstein gestaltete Ausstellung „Salomons Enkel“, die wieder einmal bewies, dass Heinisch mit seinen Justizkarrikaturen[3] stets aktuelle Bezüge mit überraschenden Effekten zu verbinden weiß (Heinisch: „Ohne die Gesetzesverstöße wäre die Kunst nichts“).

Zur Eröffnung der 5. Tagung zum Thema Literatur und Recht durch Prof. Dr. Hermann Weber, Lesern der NJW als (ehemaliger) Schriftleiter bekannt, fanden sich rund 35 Interessierte ein, und es zeigte sich, dass Prof. Weber mit dieser Tagungsreihe eine „Fan-Gemeinde“ geschaffen hat, denn viele kannten sich von früheren Tagungen als Teilnehmer oder Referenten.

Prof. Weber organisiert nämlich die Tagungen unter dem Thema „Literatur und Recht“ alle zwei Jahre. Stets ist es ihm – wie mir Teilnehmer seit der 1. Tagung versicherten – dank seiner vielseitigen Interessen und Kenntnisse sowie seiner hervorragenden Kontakte gelungen, in Zusammenarbeit mit der Studienleitung der Akademie ein hoch interessantes Programm mit einem besonderen Schwerpunktthema zu konzipieren.

Unsere Tagung galt dem Bezug von Literatur und Recht zur Religion.

Schon der einführende Vortrag von Prof. Weber beeindruckte die Zuhörer mit einer vielschichtigen Darstellung kultureller Entwicklungen, in der die Wechselbezüge zwischen Recht und Religion in literarischen Verarbeitungen anschaulich aufgezeigt wurden.

Die anschließenden Vorträge von Prof. Dr. Josef Isensee (Universität Bonn) und Dr. Ulrich Knellwolf, Pfarrer und Kriminalschriftsteller aus Zöllikon/Schweiz, zeigten die Bandbreite des Tagungsthemas auf.

Prof. Isensee referierte zum Thema „Grundrechtliche Freiheit zur Religionsbeschimpfung? – Grenzen literarischer und künstlerischer Auseinandersetzung mit Religion und Religionsgemeinschaften“ und ließ anhand aktueller Beispiele keinen Zweifel daran, dass er eine zu großzügige Auslegung der Religionsfreiheit weder für juristisch geboten noch rechtspolitisch für richtig hält („Fatal ist die Kapitulation des Verfassungsstaates“).

Der Theologe und Schriftsteller Dr. Knellwolf wandte sich naturgemäß der etwas kriminalistisch ausgerichteten literarischen Seite zu mit seinem Thema „Der Doppelmord in der Rue Morgue und der Selbstmord Adalbert Stifters: Über Recht und Theologie in der Kriminalliteratur“.

Auch dieser Vortrag bot den Zuhörern ein gedankliches Feuerwerk, bei dem große Namen aus Literatur und Philosophie zum Funkeln gebracht wurden.

Schon dieser erste Abend bescherte mir eine beträchtliche Literaturliste als Lektüreaufgabe für die kommenden langen Winterabende, die sich im Laufe der nächsten Tage noch um zahlreiche Werke erweitern sollte.

Der zweite Tag war nicht weniger eindrucksvoll in der Fülle des Gebotenen:

Judith Schepers, wissenschaftliche Mitarbeiterin am DFG-Forschungsprojekt „Römische Inquisition und Indexkongregation in der Neuzeit“, Universität Münster, gab einen tiefen Einblick in die Forschungsarbeit unter der Leitung von Prof. Hubert Wolf, Universität Münster, zur Geschichte des kirchlichen Druckverbots. Sie wartete mit erstaunlichen Einzelheiten über das Verfahren und die Hintergründe der Indizierung auf, wie es sich anhand der Forschungen in den Archiven des Vatikans ermitteln ließ und zu einzelnen Persönlichkeiten der Literatur, wie z.B. Heinrich Heine und Harriett Beecher-Stowe (Onkel Toms Hütte) oder Karl Muth (Hochland).

Eine Fortsetzung des Italienbezugs ganz anderer Art stellte der Vortrag von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, Fernuniversität Hagen, dar: „Recht und Religion in Dantes Göttlicher Komödie“. Der exzellente Kenner des Werks – Prof. Vormbaum hat eine gerade erschienene Übersetzung der Komödie erstellt (erschienen mit Illustrationen von Bonaventura Genelli in drei Bänden im Academia Verlag) – bot eine eindrucksvolle juristisch begründete Einordnung der drei Bücher in einem grandiosen Überblick mit Bezug zu den Strafrechtstheorien der Neuzeit, der die Zuhörer fast etwas schwindeln ließ ob der Fülle des Gebotenen.

Der Schriftsteller Herbert Rosendorfer – den Hamburger Kollegen aus Lesungen der Reihe Kultur und Justiz bestens vertraut – hielt in bewährter humorvoller Art einen Vortrag zum Thema „Gott als Jurist: Gottfrieds Tristan und die Rechtsgeschichte“. Rosendorfer überraschte die Zuhörer mit einer Fülle neuer Erkenntnisse zu dem alten Tristan-Thema und wusste diese in wunderbarer Weise zu der kulturgeschichtlichen Entwicklung des Gottesurteils in Bezug zu setzen.

Nach soviel wortgewaltiger Bildungsbereicherung war die gemeinsame Fahrt nach Schleswig zur Besichtigung des Bordesholmer Altars im Schleswiger Dom eine wunderbare Abwechslung. Damit wurde die Religion auch in ihrer dreidimensionalen Ausgestaltung in die Tagung einbezogen.

Ein Rundgang über den Holm und eine Besichtigung des Johannis-Klosters an der Schlei vervollständigten die Wanderung durch die pittoreske Altstadt.

Die Abendveranstaltung (für die Rendsburger öffentlich zugänglich) war einem Gespräch zwischen zwei Schriftstellern über Recht und Literatur gewidmet: Mit Friedrich C. Delius stand Herbert Rosendorfer ein politisch bekennender Schriftsteller gegenüber.

Prof. Weber und der Studienleiter der Akademie Uwe Krzewina hatten nach einer Lesung der Autoren aus ihren jeweiligen neuesten Veröffentlichungen die Aufgabe übernommen, Delius (Weber) und Rosendorfer (Krzwina) nicht nur zu ihren letzten Werken[4] zu befragen, sondern ihnen Aussagen zu den Grundlagen ihrer Arbeit und schriftstellerischen Tätigkeit zu entlocken. Sie unternahmen dies zur Freude des Publikums mit Erfolg!

Der dritte Tag (Vormittag) war dem Thema „Was wir tun, ist ‚Gottes Werk’ – Inquisition, Hexen-, Ketzer- und Märtyrerprozesse in der Literatur gewidmet, und der Referent, Richter am Bundesarbeitsgericht Christoph Schmitz-Scholemann, fesselte die Zuhörer mit einer Multimedia-Schau, in der er auf bestechende Weise literarische Texte, historisches Filmmaterial und Musikbeispiele verarbeitete und eindringlich die Auswirkungen der Hexenprozesse und der Inquisition aufzeigte.

Die szenischen Textlesungen durch die geschulte Stimme des SWR-Redakteurs Martin Roeber[5] verstärkte die Eindringlichkeit der Bilder. Der Vortrag offenbarte neben einer eindrucksvollen Beherrschung der technischen Einsatzmöglichkeiten die große Vielseitigkeit des Kollegen vom Bundesarbeitsgericht, der mit seiner umfassenden literarischen Bildung und seiner sprachlichen Treffsicherheit einen tiefgehenden Eindruck bei allen Zuhörern hinterließ, die anschließend etwas Mühe hatten, die sonnendurchflutete Schönheit des Gartens als Wirklichkeit aufzunehmen.

Für alle Teilnehmer stand fest: Diese Tagung war etwas Besonderes. Es bleibt zu hoffen, dass es viele Fortsetzungen geben wird!

Inga Schmidt-Syaßen


[1] Einzelheiten unter www.nordkolleg.de

[2] An dieser Stelle sei dem Initiator der Kontakte zu Heinisch gedacht, der unvergessen bleibt: Roland Makowka, er starb am 05.12.2006, war 15 Jahre Präsident des LG, und wäre am 22.12.2009 79 Jahre geworden.

[3] www.justizkarikatur.de

[4] Friedrich C. Delius, Die Frau, für die ich den Computer erfand. Rosendorfer, Der Mann mit den goldenen Ohren.

[5] Vgl. dessen Tagungsbericht in NJW-aktuell Heft 48/2009 S. XVI.