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Ulrich Klug - de mortuis ...

Die FAZ (Fr.-K. Fromme) gedenkt des Verstorbenen:

"Er gehört zu der Generation von Professoren, die als Spätberufene zur FDP kamen, in einer Zeit, da die Partei eindeutig "sozialliberal" geprägt war: Ulrich Klug. Er trat erst 1968, damals war er Mitte fünfzig, der FDP bei. Seine Karriere dort war schnell: Er wurde 1970 Staatssekretär im Justizministerium Nordrhein-Westfalen und 1974 Justizsenator in Hamburg. Das Amt behielt er nur rund drei Jahre. Es gab mancherlei Mißgeschicke, die einem Justizsenator passieren können. Vor allem hatte es sich Klug verdorben mit seiner eigenen Anhängerschaft, weil er, rigoros, wie er nun einmal war, auch einem verurteilten NS-Täter die Vorteile des von ihm gewollten neuzeitlichen Strafvollzugs zugebilligt hatte. Die FDP, die schnell entflammt ist für "neue Leute", wurde Klugs ebenso schnell überdrüssig. Sein Leben war nicht einfach. Er hatte das juristische Studium 1940 abgeschlossen. Er suchte die akademische Laufbahn; erst 1956 wurde er, sechs Jahre zuvor habilitiert, außerordentlicher Professor, 1960 endlich Ordinarius in Köln. Er war vor allem auf dem Gebiet des Wirtschafts- rechts tätig. Vielleicht hat die lange akademische Wartezeit, die er mit einer Position bei einer Bank auf erträgliche Weise überbrückt hat, ihn auf den Weg der Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft getrieben, zu der Klug von Herkommen und Habitus eigentlich gehörte. Er war einer der 16 (die Zahl schwankte) "Alternativprofessoren", die in der hohen Zeit der Strafrechtsreform weitergehende Vorschläge machten als der Gesetzgeber sie sich zutraute. Geboren wurde Klug in Wuppertal-Barmen, aufgewachsen ist er in Berlin; etwas von der leicht nervös getönten Scharfzüngigkeit des Berliner Intellektuellen hat ihn über die vielfältigen Stationen seines Lebens begleitet. Bei aller Festigkeit seiner Überzeugungen hat er die liberale Tugend bewiesen, Andersdenkenden weder den guten Willen noch den Verstand abzusprechen. Die Spuren, die der Politiker Klug hinter- lassen hat, sind verweht; ob sein Beitrag zum Klima der Rechtsüberzeugungen förderlich war, wird die Zukunft erweisen. Jetzt ist Ulrich Klug in seinem achtzigsten Lebensjahr verstorben." Die 70'iger Jahre waren ziemlich wilde RAF-Zeiten: Feuergefechte mit der Polizei, Gefangenenbefreiung, Entführungen, Morde, Attentate auf Deutsche und Alliierte... Ulrich Klug wird nicht müde, vor obrigkeitlichen "Überreaktionen" zu warnen. Am 04.10.1974 liegt auch vor seiner Tür eine auf Zeit geschaltete Sprengladung. Das sei für ihn nun allerdings ganz unbegreiflich, meint der Senator vor der Presse; "Repression" sei ja eine Sache für sich; aber ausgerechnet einen Liberalen in die Luft zu sprengen: wer verfalle denn auf einen solchen Gedanken ... ? Am 20.11.1974 detoniert eine Rohrbombe am Hause des Hamburger Richters Geert Ziegler ... und es geht weiter: Lorenz-Entführung in Berlin im Februar 1975; Mord in der Stockholmer Botschaft wenig später usw. usw. ...

Die FAZ erinnert, ohne den Namen zu nennen, an den Fall Rosenbaum. Auf Vorschlag des Senators hatte die Gnadenkommission den zu lebenslanger Strafe verurteilten NS-Täter, nach Ulrich Klugs allgemeinen Grundsätzen, vorzeitig entlassen - zum unpassenden Zeitpunkt, weil Bürgermeister Klose gerade in Israel weilte und dort prompt in Peinlichkeiten geriet. In Hamburg erhob sich ein Sturm, der den Senator fast gestürzt hätte (ich persönlich fand seine Entscheidung im Falle R. richtig; nicht allerdings alle Begründungen, mit denen er sie rechtfertigte: die lebenslange Strafe sei ohnehin verfassungswidrig; alles, was nicht auf Resozialisierung ziele, sei nur "irrationales Gerede"). Der Anlaß des späteren Rücktritts im Februar 1977 war als solcher fast läppisch - eigentlich nur die Folge einer gewissen Sucht, sich den Medien als "unbequemer Liberaler" angenehm zu machen (mit anschließender Verleugnung einer kleinen Aktion zugunsten des STERN vor der Bürgerschaft, was - nach mir schwer erfindlichen Maximen - hierzulande als der Gipfel aller politischen Kapitalverbrechen gilt).

Vielleicht war es bis dahin das Glück des Senators gewesen, daß die Hamburger CDU ständig seinen Kopf verlangt hatte: das schafft neue Solidarität oder festigt brüchige. Eine Episode ist mir in Erinnerung geblieben:

Irgendwer hatte der CDU zugetragen, Klug habe früher, zur Nazizeit, Böses zu Papier gebracht, sich literarisch mit Roland Freisler und anderen Übelmännern in ein Boot gesetzt udgl. Man stieß beim Suchen auf eine Schrift aus seiner Feder von 1938: "Die zentrale Bedeutung des Schutzgedankens für den Zweck der Strafe". Meist war es das Schicksal der CDU und ihrer Leute gewesen, Opfer solcher genüßlich hervorgekramten Zitatenschätze zu werden. Hier drehte sie selbst den Spieß nun in andere Richtung - dilettantisch, unüberlegt, bei näherer Prüfung: durchaus unschlüssig! Das wies Hans-Peter Bull (jetzt Innenminister in Schleswig-Holstein) in einem ZEIT-Aufsatz überzeugend nach. Klugs untadelige Haltung während der NS-Zeit ist auch über jeden Zweifel erhaben. Jedem der Worte, die zu seiner Rechtfertigung gesagt und geschrieben wurden, konnte ich nur zustimmen. Aber wirklich interessant wird die Sache erst, wenn das vordergründige Gerümpel abgeräumt worden ist:

Die genannte Schrift (im HansOLG zu finden) ist aufschlußreich und faszinierend als Zeitdokument u n d als geistige Hervorbringung einer reinen, absolut unpolitischen deutschen Professorenseele: sie wird von einer Idee gefüllt (gleichsam wie ein Ballon mit Gas), und die wird verfolgt, leidenschaftlich-besessen, ohne Blick nach rechts oder links. Klug lehnt den Gedanken ("den Glauben an ...", wenn man will!) der menschlichen Willensfreiheit ab, leidenschaftlich, unter Zitierung aller Schriftsteller, die gleichen Sinnes sind, welcher Zunge auch immer, und ohne Rücksicht darauf, ob sie nazistisch (und rassistisch) schrieben oder nicht. Wer 1938 für eine These Gefolgschaft finden wollte, mußte natürlich versuchen, den Zeitgeist in seine Segel blasen zu lassen. Auch das hat Klug getan. So kommt es zu den Zitaten, die ihm 35 Jahre später mit anklagender Miene vorgehalten werden sollten; aber es gibt auch und fast ebensoviele andere, mit denen der Autor auf Nazis eindrischt, die dem Schuldgedanken huldigten, weshalb - bei näherem Zusehen - Freisler z.B. nur einseitig zitiert wird und insgesamt bei Klug nicht gut davonkommt. Er spielt - sozusagen -Nazis gegen Nazis aus; ihn leitet nur der Wunsch, seine Idee ins rechte Licht zu rücken.

Tenor und Fazit der Schrift scheint mir (noch nicht einmal gar zu stark verkürzt) durch folgende Zitate erfaßt zu werden:

"... Aus allen bisher angestellten Erwägungen folgt also die Ablehnung der Sühnetheorie. Das Ziel des Strafrechts ist ein kriminalpolitisches. Es kommt auf die Verminderung der Straftaten zum Schutze der Gemeinschaft an. Die Strafe bemißt sich nach dem Grad der Schutzbedürftigkeit, und dieser wiederum nach der Sozialgefährlichkeit des Delinquenten... Der Vergleich eines Strafrechts nach den Prinzipien des Gemeinschaftsschutzes mit der medizinischen Wissenschaft liegt nahe. Auch bei ihm geht es um die Gesundheit, und zwar um die soziale Gesunderhaltung des Gemeinschaftsorganismus. Die Krankheit, die bekämpft wird, ist die Kriminalität, oder besser die Asozialität. Die Strafrechtswissenschaft ist demnach eine empirische Wissenschaft, die sich mit klaren empirischen Problemen ohne Rücksicht auf mystische, undeutliche Begriffe zu befassen hat. Eine Degradierung der Strafrechtswissenschaft kann darin ebensowenig gesehen werden, wie man etwa die ärztliche oder eine andere Naturwissenschaft minder bewerten kann... In der Verhängung der Strafe liegt sowohl für die Schutzstrafentheorie wie für die Sühnetheorie ein Werturteil über den Täter. Soll die Strafe die Gemeinschaft schützen, dann wird der Täter danach bewertet, ob er ein gemeinschaftsnützliches oder ein gemeinschaftsschädliches Glied des Volkes ist. Soll hingegen die Strafe sühnen, dann wird durch die Strafverhängung ein ethisches Urteil gefällt. Die Handlung des Täters wird unter dem Gesichtspunkt bewertet, ob sie gut oder böse war. Im ersten Fall gleicht das Urteil demjenigen eines Arztes, im zweiten demjenigen eines Priesters... Dem Gedanken der Schutzstrafe liegt der gleiche "Utilitarismus" zugrunde, der sich in den Sätzen, "Recht ist, was dem deutschen Volke frommt" und "Unrecht ist, was den Bedürfnissen der Allgemeinheit schadet", ausprägt." Dieses Zitat stammt von Gürtner, das erste von Roland Freisler, der einige Jahre später als Präsident des Volksgerichtshofes die Gelegenheit bekommen sollte, seinem Führer und einer mehr oder minder beklommenen Halböffentlichkeit zu demonstrieren, wie ein Arzt mit schädlichen Gliedern am Volkskörper verfährt...

Nicht in diesem oder jenem Zitat oder überhaupt in Einzelheiten liegt die tiefe Fragwürdigkeit des Klug'schen opus magnum, sondern in der grundsätzlichen Art seines Beitrags zum geistigen Haushalt der Nation. Wie konnte ein nachdenklicher Kopf, dem die Unmenschlichkeit des Regimes tief zuwider war, eben jenem totalen Machtstaat die strafrechtlichen und polizeilichen Instrumentarien so warm, ja so leidenschaftlich-missionarisch empfehlen, die dessen Willen und Streben exakt entsprachen? Ein politischer Kopf von der inneren Gesinnung Ulrich Klugs hätte 1938 das Schuldprinzip verteidigt, gegen die schreckliche Zweckrationalität, die im bloßen Präventionsdenken liegen kann und - unter den Bedingungen totaler Diktatur - liegen muß. Im Schuldgrundsatz liegen nämlich vornehmlich und zunächst einmal Einschränkungen der Strafgewalt: keine Strafe ohne Schuld, mag die Zweckmäßigkeit empfehlen, was sie will! Aber für diese Einsicht war Ulrich Klug vollkommen unempfänglich: "Schuld" galt und blieb für ihn ein Unbegriff, metaphysisch, unwissenschaftlich, irrational. So hat er später auch die NS-Prozesse zwar leidenschaftlich gefordert und wirkliche oder vermeintliche Mängel gegeißelt; zu ihrer Rechtfertigung aber wußte er nur den - evidentermaßen untauglichen - Grund der Prävention anzuführen. Er beharrte darauf, daß alte Männer deshalb ins Gefängnis müßten, weil sie nach wie vor gefährlich seien, und keineswegs deshalb, weil sie schwere Schuld auf sich geladen hätten...

Ein Leben voller Widersprüche; am schwersten zu begreifen vielleicht der, daß Ulrich Klug sein leidenschaftliches Bestreiten menschlicher Freiheit stets verknüpft hat mit dem nicht weniger leidenschaftlichen Bekenntnis zum liberalen Menschenbild - "im Zweifel für die Freiheit!". Denn wenn das Subjekt in seinem innersten Kern - der Gewißheit seiner Freiheit - nur eine Illusion, und seine Manipulierbarkeit die einzige Wahrheit ist: woher, in aller Welt, bekommt ein "Liberaler" dann die Zuversicht, eine freiheitliche Gesellschaft erbauen zu können? Ist die dann nicht eine Illusion höchsten Grades?

Jeder Mensch nimmt einige Geheimnisse mit sich ins Grab; wie sollte Ulrich Klug eine Ausnahme sein? Er hinterläßt sogar einige besonders gewichtige Fragen; und sie aufgeworfen - durch die Art seiner Existenz aufgeworfen zu haben, ist immerhin eine Lebensleistung, der man, heute jedenfalls, im ruhigen Rückblick, die Achtung nicht versagen sollte.

Günter Bertram