(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/94) < home RiV >
Bedrohung des Referendars Mahmut Erdem

Die Redaktion ist gebeten worden, die nachstehende Erklärung abzudrucken. Dem verschließen wir uns nicht, weil hier ein widerwärtiger und besorgniserregender Anlaß gegeben ist. Dazu heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts und des Personalrats für Referendare:

"Am 08.07.1994 erreichte das Hanseatische Oberlandesgericht ein Schreiben, das an unseren Kollegen Mahmut Erdem, Rechtsreferendar am hiesigen Gericht, gerichtet war.

Anlaß für dieses Schreiben war wohl eine Pressemeldung, daß er als Direktkandidat für den Bundestag vom Bündnis 90/Die Grünen für den Bezirk Hamburg-Mitte aufgestellt wurde.

In diesem Brief wird unser Kollege beschimpft und bedroht und ihm und Menschen aus seiner ursprünglichen Heimat das Lebensrecht abgesprochen. Dem Brief beigefügt wurde eine ganze Sammlung von kopierten Presseberichten, Flugblättern u.ä. mit fremdenfeindlichen und rassistischen Inhalten.

Dieses Schreiben und die beigefügte Materialsammlung löste bei uns Entsetzen, Empörung und Besorgnis um die Sicherheit unseres Kollegen und seiner Familie aus. Wir wollen und können uns über ein solches Schreiben nicht einfach hinwegsetzen. Immer häufiger werden in diesem Lande Menschen fremder Herkunft, zumal solche, die sich politisch engagieren, bedroht und verunglimpft, fast immer mit dem eindeutigen Ziel, sie einzuschüchtern und mundtot zu machen. In jüngster Zeit führten solche Methoden bereits zu progromartigen Ausschreitungen.

Angesichts der rassistischen und ausländerfeindlichen Übergriffe in der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart sind wir der Meinung, daß solche Drohungen öffentlich gemacht werden müssen, um ihnen wirksam entgegentreten zu können.

Mit dieser Presserklärung wollen wir anknüpfen an unsere Veröffentlichung nach dem Anschlag von Solingen und deutlich machen, daß wir es nicht zulassen wollen, daß Menschen in einer solchen Situation verunglimpft werden.

Zugleich appellieren wir an die Öffentlichkeit und jeden einzelnen, Zivilcourage zu zeigen und rassistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen entgegenzutreten."

Der Personalrat der Referendare hat in der Referendarabteilung des Hanseatischen Oberlandesgerichts die nachfolgende Erklärung ausgelegt und sammelt Unterschriften. Wir drucken diesex Text gleichfalls ab. Die Redaktion weist darauf hin, daß die enthaltenen politischen Bewertungen, Generalisierungen und Schlußfolgerungen die Meinung der Verfasser der Erklärung wiedergeben

Presseerklärung

"Vor kurzem erhielt ein Kollege von uns, Rechtsreferendar in Hamburg, einen an die Adresse des Hanseatischen Oberlandesgerichts gerichteten Droh- und Schmähbrief, der in trauriger Weise vorführt, welche Abgründe an Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sich heute in Deutschland wieder auftun.

Das zehnseitige Machwerk enthält, neben den bekannten Vorurteilen, Beschimpfungen bis hin zu blutrünstigen Bedrohungen. Es wird offen und massiv zu Straftaten gegen unseren Kollegen und seine Landsleute aufgerufen.

Mit diesen Mitteln wird versucht, Angst und Schrecken unter Menschen unterschiedlicher Herkunft und nicht zuletzt auch allen politisch Andersdenkenden zu verbreiten.

Das mittlerweile fast täglich Häuser angezündet und Menschen verbrannt werden, ist nur das auffälligste Zeichen einer Barbarisierung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland. Briefe, wie dieser, sind das ganz "alltägliche" Mittel, um tausendfach Mitmenschen damit zu bedrohen, was morgen auch Ihnen bevorstehen könnte.

Neonazis und Rechtsradikale haben immer weniger Hemmungen, ganz unverhohlen Menschenjagden in Innenstädten zu veranstalten und Todesdrohungen gegen ihnen Unliebsame auszustoßen.

Warum diese zunehmende Selbstsicherheit und Furchtlosigkeit der Rechtsradikalen? Zum großen Teil deshalb, weil sich ihnen kaum jemand entgegenstellt, weil ihr Auftreten schweigend hingenommen, wenn nicht sogar mit Applaus bedacht und durch verständnisvolle Urteile gedeckt wird.

Die Skrupellosigkeit wächst, wenn man die "schweigende Mehrheit" hinter sich wähnt. Deshalb darf die Mehrheit nicht schweigen!!! Es gilt, allen, die andere Menschen bedrohen oder die Bedrohung unterstützen, klarzumachen, daß sie auf verlorenem Posten stehen. Dazu bedarf es nicht unbedingt einer Heldentat - schon eine Unterschrift unter diese Erklärung (Unterschriften-Liste in der Referendarabteilung des Hanseatischen Oberlandesgerichts) der Solidarisierung mit unserem Kollegen ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Hamburg, August 1994

Personalrat der ReferendarInnen am Hanseatischen Oberlandesgericht"