(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/94) < home RiV >
Staatsanwaltschaft
- Stiefkind der Justiz? -

"Die Grenze der Belastbarkeit und Zumutbarkeit ist schon lange weit überschritten ..." (Bericht jüngerer Staatsanwälte im Mitteilungsblatt 2/93).

Wenn die StA noch nicht zusammengebrochen ist, so liegt das im Grunde daran, daß viele Staatsanwälte, nicht zuletzt auch jüngere und junge Kollegen, ihre Überlast durch eine Arbeitsleistung aufgefangen haben, die über eine Ableistung formeller Dienstpflicht und die Einhaltung normaler Arbeitstage weit hinausgeht. Motivation und Antrieb für diesen Einsatz rührten daher, daß sie dem Vertrauen gerecht werden wollten, das Politik und Öffentlichkeit bisher in ihre verantwortungsbewußte, selbständige und sachliche Arbeit gesetzt hatten.

Diese Motivation hat nun einen scharfen Einbruch erfahren; Resignation und Verunsicherung breiten sich mancherorts aus:

Der sog. Polizeiskandal hat seine Wellen in der Staatsanwaltschaft geschlagen: In seinem Verlaufe haben einzelne Presseorgane, politisch motiviert, verleumderische, aber öffentlichkeitswirksame Vorwürfe gegen staatsanwaltschaftliche Dezernenten erhoben. Die Anwürfe sind zwar schnell widerlegt worden, waren aber - ohne Not - für die Justizbehörde jedenfalls ein Grund u.a., eine dreiköpfige Untersuchungskommission einzusetzen, die sich in wochenlanger Arbeit mit der Überprüfung einer großen Zahl abgeschlossener Ermittlungsverfahren der Jahre 1990 bis 1994 zu beschäftigen hatte.

Die auf dem Bericht der Kommission basierende Presseerklärung der Justizbehörde (s.o.!) hat bei zahlreichen Staatsanwälten erhebliche Unruhe ausgelöst und ist auf Unverständnis gestoßen, weil die aufgestellten grundsätzlichen Maximen für die Arbeit eines jeden Staatsanwalts - nicht nur im Polizeidezernat - zu einer Einschränkung eigenverantwortlicher Tätigkeit sowie einem Abbau der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft führen.

So wird die uneingeschränkte Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt, und aus diesem Blickwinkel werden sodann zahlreiche Beanstandungen erhoben. Daß das von der Arbeitsgruppe proklamierte "Idealvorgehen" in der Praxis auch nicht annähernd zu realisieren war und zukünftig zu einer ganz erheblichen Vermehrung von Staatsanwaltstellen - wegen der Übernahme der bisher polizeilichen Ermittlungshandlungen (insbeson-dere Vernehmungen) - führen müßte, scheint unstreitig und wird sogar in der erwähnten Presseerklärung der Justizbehörde jedenfalls angedeutet.

Unabhängig hiervon herrscht zu Recht Streit darüber, ob das beschriebene "Idealvorgehen" wirklich die richtigen Maßstäbe für die Praxis setzt. Es scheint so, daß dem einzelnen Staatsanwalt nun jeder wirkliche Handlungsspielraum entzogen wird - entgegen dem Sinn des Gesetzes und aller Lebens- und Berufserfahrung. Geblieben ist eine an formalen Kriterien orientierte Forderung der Aktenbearbeitung, deren letztendliche Erheblichkeit von dem einen oder anderen Berichtsverfasser möglicherweise selbst in Frage gestellt wird. Es erscheint dringend geboten, diesen Weg zu verlassen, damit sich die Staatanwaltschaft wieder zeitgemäß und praxisnah mit der Verfolgung der immer bedrohlicher werdenden Kriminalität befassen kann, statt sie zu zwingen - wie von der Kommission vorgeschlagen - sich durch die Überprüfung weiterer Hunderter von Akten mit sich selbst zu beschäftigen.

Eins ist sonst wohl sicher: daß viele Kolleginnen und Kollegen, die bislang unter Zurückstellung privater Belange oft weit über die normale Arbeitszeit hinaus der Strafverfolgung gedient haben, sich fragen werden, ob es nicht besser sei, ihre Akten nach rein formalen Kriterien zu bearbeiten und dafür einen nicht unerheblichen Teil ihrer Fälle liegen zu lassen.

Uwe Hitziger, staatsanwaltschaftliches Vorstandsmitglied des Hamburgischen Richtervereins