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Ein Tag, nicht wie
jeder andere!
(ein wahres Ereignis aus dem Jahre 1985)

Ein Freitag im August 1985 hatte der Verwaltung des Landgerichts wieder viel Aufregung gebracht. Im Strafverfahren hatte es einmal mehr an allen Ecken und Enden gedrückt. Mehrere Großverfahren waren eingegangen. Wie üblich drohten in einigen BTM-Sachen Entlassungen aus der U-Haft, einige Wirtschaftskammern hatten "Land unter" gemeldet.

Gegen 19.30 konnte die interne Krisensitzung er folgreich beendet werden. Es war eine Hilfs-strafkammer geplant, einige Ableitungen konnten ins Auge gefaßt werden. Am Montag sollte eine außerordentliche Präsidiumssitzung einberufen werden, um die ersonnenen Pläne zu beraten und zu beschließen. Mit den Wünschen für ein schönes Wochenende verließen wir, die damals amtierenden Präsidialrichter, den Präsidenten.

Auf dem Wege in mein Dienstzimmer eilten meine Gedanken ins Jagdrevier voraus. Vollmond war es. Würde es gelingen, heute einen der im Weizen zu Schaden gehenden Schwarzkittel zu strecken?

Als ich das Zimmer erreicht hatte, klingelte das Telefon, wie ich empfand: besonders schrill. Sollte man an einem Freitag um diese Zeit noch dienstliche Präsens beweisen? Das Pflichtgefühl siegte über die jagdliche Passion.

Am anderen Ende meldete sich mit überschlagend lauter und aufgeregter Stimme eine männliche Person. Den zunächst zusammenhanglosen Worten konnte ich Begriffe wie Zollfahndung, Waffenschieberei, Schiff, Stockholm und immer wieder das Wort "Eile" entnehmen.

Nach einigen Rückfragen ergab sich folgender Sachverhalt: Die Hamburger Zollfahndung versuchte, die Mitglieder einer Wirtschaftsstrafkammer eiligst zu erreichen, die eine Durchsuchung eines im Hamburger Hafen liegenden Schiffes, das unter ausländischer Flagge fuhr und planmäßig um 20.30 Uhr ablegen würde, anordnen sollte. Das Schiff sei aus den USA über Südafrika gekommen und habe bestimmte Rüstungsgüter an Bord, die verbotswidrig durch den Nordostseekanal über Stockholm in einen östlichen Staat verbracht werden sollten. Drahtzieher sei ein international bekannter Waffenschieber, den man von den USA aus im Zusammenhang mit gerade dieser Schiffsladung beschattet habe. Bei den Rüstungsgütern handele es sich um containerverpackte streng geheime, elektronische Bausteine für das Cockpit eines Jagdflugzeuges. Gelinge es nicht, das Schiff hier zu fassen, werde die geplante Tat vollendet werden. Dieses Gespräch wurde mit der Vereinbarung beendet, daß sich der Anrufer mit allen vorhandenen Unterlagen auf den Weg zum Landgericht mache. Hier würde man inzwischen versuchen, eine Wirtschaftsstrafkammer zu mobilisieren.

Der Präsident schloß gerade seine Aktentasche, um endlich das Gericht zu verlassen. Es war 19.40 Uhr, als er von dem vorstehenden Sachverhalt in formiert wurde. Sofort wurde Dr. Raabe, der ebenfalls noch gerade erwischt werden konnte, vom Beginn des Wochenendes abgehalten. So war man schon einmal zu Dritt, von der Kopfzahl her also ein beschlußfähiger Spruchkörper. Gab es noch Mitarbeiter aus dem nichtrichterlichen Dienst, die ggf. schreiben und ausfertigen könnten? Nach einem Blick durch den aufsteigenden Rauch einer R 6 griff der Präsident zum Telefon und bekam Anschluß im Hause des Vorsitzenden der geschäftsplanmäßig zuständigen Wirtschaftskammer Dr. Glage. Ihr Mann sitze gerade im Bade, sie werde ihn fragen, ob er danach für einen Notfall bereit stehe, antwortete die Ehefrau, man solle in Kürze noch einmal anrufen.

Inzwischen war es draußen laut geworden. Die Signalhörner mehrerer Fahrzeuge im Einsatz mit Sonderechten drangen durch die wieder geöffneten Fenster des Dienstzimmers. Und sogleich polterten mehrere zum Teil furchterregende Männer in das Vorzimmer. Ein Zollbeamter stellte sich und die ihn begleitenden amerikanischen Beamten vor (worauf diese offenbar überhaupt keinen Wert legten). Im Nu sah der von Frau Voß (im Vorzimmer) peinlichst aufgeräumte Schreibtisch chaotisch aus. Als erstes wurde über den A-Anschluß eine Fernleitung in die USA aufgebaut, die, so wurde dem Präsidenten bedeutet, stehen müßte und nicht unterbrochen werden dürfte. In größtenteils unverständlichem Amerikanisch wurde über diese Leitung hektisch und lautstark telefoniert. Die situative Hektik übertrug sich nun auf alle Anwesenden, auch auf uns. Erst nach wiederholtem Nachfragen glaubten wir einen Sachverhalt herausgehört zu haben, der das Begehren nach einer richterlichen Entscheidung schlüssig machte.

Also wurde Dr. Glage erneut angewählt. Inzwischen dem Bade entstiegen, erklärte er sich sofort bereit, zum Gericht zu eilen. Seinen in der Nähe wohnenden Stellvertreter werde er mitbringen. Die Transportprobleme waren schnell gelöst. Mit einem Funkstreifenwagen mit Sonderrechten sollten die zwei in das Gericht gebracht werden. Uns Anwesenden war daraufhin etwas wohler, würden sich nun doch fachlich spezialisierte Richter den Pro blemen widmen. Ein Blick auf die im Zimmer verstreuten Dokumente ließ dann erkennen, daß alle in amerikanischer Sprache abgefaßt waren. Also mußte vorsorglich auch für einen Dolmetscher gesorgt werden. Freundin Evi fiel mir ein, die am Telefon auch sogleich Bereitschaft zeigte. Auch sie sollte mit einem Funkstreifenwagen mit Sonderrechten herbeigeholt werden.

Inzwischen war es 20.00 geworden. Die Amerikaner drängten immer massiver auf die Entscheidung. Ein Anruf im Hafen bestätigte, daß man auf dem Schiff Vorkehrungen zum pünktlichen Ablegen treffe. Ein leitender Beamter der Justizbehörde sei vor Ort, halte sich aber im Hintergrund.

Endlich wurde es draußen wieder laut von den Starktonhörnern anfahrender Funkstreifenwagen. Der Vorsitzende Richter, sein Stellvertreter und die Dolmetscherin stürzten durch das Vorzimmer. Nur mühsam gelang es, den Aktionsradius der amerikanischen Beamten auf das Vorzimmer zu beschränken. Immer wieder steckten sie ihren Kopf durch die Tür in das Dienstzimmer und mahnten zur Eile.

Um 20.05 war die Besetzung der Strafkammer gefunden. Dr. Raabe wurde zweiter Beisitzer. Man wollte nun geheim beraten und verwies den Präsidenten und mich des Dienstzimmers mit der Auflage, für den Schreib- und Ausfertigungsdienst zu sorgen. Wir flüchteten in ein Schreibzimmer der Präsi, zogen immer nervöser an unseren Glimmstengeln, die nicht zum Erlöschen kamen, und beschlossen, selbst in das nichtrichterliche Gewand zu schlüpfen. Der des Maschineschreibens besser kundige Präsident sollte sich als Schreibangestellter der Großen Strafkammer betätigen und bestellte mich zum Urkundsbe amten der Geschäftstelle mit dem Antrag, ein Dienstsiegel aus einem der verschlossenen Schreibtische herauszuzaubern.

Die im Vorzimmer herrschende Hektik war nicht mehr zu steigern, als um 20.20 Uhr die Strafkammer einen handgeschriebenen Beschluß herausreichte, der die Durchsuchung des Schiffes anordnete. Wild wurde in die Telefonhörer geschrien. Man lief durcheinander, als gelte es, diese handschriftliche Urkunde nun zum Hafen zu bringen. Ein jeder schien der erste sein zu wollen. Die Zeit wurde knapp. Es wurde überlegt, den Beamten der Justizbehörde zu bitten, den Kapitän des Schiffes vorab zu informieren, was in Kürze kommen werde, um so das Ablegen hinauszuzögern.

Inzwischen hatte sich der Präsident an die Maschine gesetzt und schrieb mit eiligen Fingern den Text des Beschlusses in Maschinenschrift.

Ein Siegel hatte ich Dank des mir vom Geschäftsleiter zu getreuen Händen übergebenen Tresorschlüssels herbeigeschafft. Gerade als ich dann zum schwungvollen Siegeldruck ausholte - es war inzwischen 20.25 Uhr - kam der Vorsitzende Glage und verfügte, daß der Beschluß noch um die Anordnung der Durchsuchung zur Nachtzeit zu ergänzen sei. Wir alle sahen das Schiff schon schwimmen und den Überbringer des Durchsuchungsbeschlusses hinterherschauen. Doch vor Ort hatte der Beamte der Justizbehörde seine Zurückhaltung aufgegeben, war in letzter Sekunde auf das Schiff gelangt und mit dem Kapitän des Schiffes ins Gespräch gekommen. "Diese Zeit muß nun reichen!", rief uns der im Tiefstart von dem Schreibzimmer lauernde Zollbeamte zu.

Die Stempelfarbe des Siegels war noch frisch und verwischte, als uns der Zöllner die Beschlußausfertigung förmlich aus der Hand riß und seinen amerikanischen Kollegen nachstürzte. Mit einem Höllenlärm brauste die Kolonne der (Sonderechte nutzenden!) Zoll- und Polizeifahrzeuge in Richtung Hafen.

Ganz still war es geworden in den Räumen der Präsi. In diese Stille hinein bemerkte Dr. Glage in der ihm eigenen unnachahmlichen Art, daß es für ihn selbstverständlich gewesen sei, sich einer solchen Aufgabe zu stellen, wenn der Herr Präsident rufe. Er hoffe sehr, daß sich die gesuchten Rüstungsgüter auch wirklich in den Containern befänden. Es wäre doch peinlich, wenn das Schiff nur Südfrüchte geladen hätte...

Den nachfolgenden Ablauf hat der Erzähler nicht persönlich miterlebt: Der Beschluß erreichte den Kapitän des Schiffes vor dem Ablegen. Er widersetzte sich der Durchsuchung des Schiffes nicht, wollte aber auch nicht zu viel Zeit verlieren. Er schlug vor, die inkriminierten Container dazulassen. Also wurden sie, nach einer mutigen Zusatzanordnung des Beamten der Justizbehörde in der Rolle des Notstaatsanwaltes, ausgeladen und sichergestellt. Die Öffnung am Montag brachte dann noch brisantere Ladung zu Tage, als sie von der internationalen Fahndung erwartet worden war.

PS: Das diesen Ereignissen folgende Strafverfahren fand außerhalb Hamburgs statt. Die hier wiedergegebenen Ereignisse sind Teil eines abendfüllenden Fernsehfilmes geworden, der vor einigen Jahren gelaufen ist.

Jürgen Meye