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Leserbrief

Der nach dem Selbstmord eines jungen Schülers in Neuwiedenthal erfolgte polizeiliche Zugriff auf eine verdächtige Jugendgruppe hatte in Hamburg ein starkes Echo gefunden. In einem Beitrag im Hamburger Abendblatt vom 7. Februar 1997 heißt es u.a.:

"Es muß ein gesellschaftlicher Konsens gefunden werden", fordert Lothar Bergmann von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Bei Jugendlichen unter 21 Jahren werde automatisch das milde Jugendstrafrecht angewandt. "Der Gesetzgeber ist hier gefordert, dies zu ändern", so Bergmann. Bei schweren Straftaten sei eine "romantische Verklärung des Alters" nicht angebracht. Einige Richter würden sogar "aus sprichwörtlicher Faulheit" junge Tatverdächtige laufenlassen."

Als Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins hat Herr Dr. Raabe einen - vom Hamburger Abendblatt nicht abgedruckten - Leserbrief und einen weiteren Brief an Herrn Bergmann geschrieben. Beide drucken wir hier ab:

1. Leserbrief

In der Ausgabe des Hamburger Abendblattes vom 7. Februar 1997 wird in dem Bericht:
- Jugend-Kriminalität - eine "tickende Zeitbombe" -

Herr Lothar Bergmann von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit der Äußerung zitiert:

"Einige Richter würden sogar "aus sprichwörtlicher Faulheit" junge Tatverdächtige laufen lassen." Diese dreiste Behauptung ist ohne jegliche Substanz. Anstatt sich in verleumderischen Anwürfen zu ergehen, würde es Herrn Bergmann als Vertreter der GdP gut zu Gesicht stehen, sich über die tatsächlichen Gründe der steigenden Jugendkriminalität Gedanken zu machen. Hierfür gibt der Bericht einige Denkanstöße (z.B. Armut und Arbeitslosigkeit), denen sich Herr Bergmann nicht verschließen sollte.

Hamburg, 7. Februar 1997

Dr. Heiko Raabe

Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins

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2. Brief an Lothar Bergmann

Hamburg, 10. Februar 1997

Sehr geehrter Herr Bergmann,

in der Ausgabe des Hamburger Abendblattes vom 7. Februar 1997 sind Sie in dem Bericht
- Jugend-Kriminalität - eine "tickende Zeitbombe" - mit der Äußerung zitiert worden, einige Richter würden sogar "aus sprichwörtlicher Faulheit" junge Tatverdächtige laufen lassen.

Ich möchte bis jetzt eigentlich nicht glauben, daß Sie tatsächlich diese höchst beleidigende, im übrigen völlig haltlose Behauptung aufgestellt haben, hoffe also, daß Sie falsch zitiert worden sind.

Mag auch die Polizei in Einzelfällen mit Entscheidungen der Strafgerichte, insbesondere der Jugendgerichte, nicht einverstanden sein, so rechtfertigt dies in gar keiner Weise den Vorwurf, Richter würden etwa aus Faulheit Tatverdächtige laufen lassen, also Rechtsbeugung begehen. Die Richter sind über diese Äußerung zu Recht empört. Ich erhoffe und erwarte von Ihnen daher in dieser Sache eine klarstellende Erklärung.

Kürzlich habe ich in der Landespolizeischule referiert. In der anschließenden Diskussion wurde von vielen Beteiligten der Wunsch nach einem runden Tisch mit Richtern geäußert, um gemeinsame Probleme, gegenseitige Fragen und Anliegen zu erörtern. Ihre im Hamburger Abendblatt wiedergegebene Behauptung ist nicht dazu angetan, ein solches Gespräch zwischen Polizei und Gerichte zu fördern.

Dennoch: Mit freundlichen Grüßen

Dr. Heiko Raabe