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Kommunikationstraining
- erster Teil -

"... Teilnehmer ... müssen bereit sein, im Elsa-Brandström-Haus zu übernachten ... Die Teilnahme an der Tagung ist für Richter und Staatsanwälte kostenlos einschließlich Unterbringung und Verpflegung ...": Das klang schon mal nicht übel. Die weitere Versicherung Dr. Bradens vom HansOLG (zum Az. 2221 E - 1 p/1/9 vom 10.10.1976), in dieser Fortbildungsveranstaltung werde es "nicht um die Einführung in ein geheimnisvolles Verfahren" gehen, das die Teilnehmer später "zu einer Gruppe von Eingeweihten" werden lasse, sondern letztlich um’s - irgendwie verbesserte - tägliche Arbeiten und Leben, mußte die Neugier wecken, und der Satz "unbedingte Voraussetzung für die Teilnahme ist die Bereitschaft, eigene gefühlsmäßige Reaktionen in die gemeinsame Arbeit einzubeziehen", klang viel zu vage, um als spätere Quelle irgendwelcher tieferen Inanspruchnahmen in Betracht zu kommen.

Und wie war es dann?

Aber gemach: Kann man, darf man, sollte man darüber schreiben? Ich könnte es nicht, hätte ich während jener vier Tage nicht meine nächtlichen Aufzeichnungen gemacht. Man darf es wohl auch - nach inzwischen zwanzig Jahren. Aber sollte man es tun? Vielleicht braucht man die heilige Diskretion nicht über die Verfremdung der Namen hinauszutreiben. Immerhin sind die "Vopel-Seminare" hier unlängst wiederholt in öffentlicher Rede mit dieser oder jener Biographie verknüpft worden. ...

Was aber herausgreifen aus 30/40 Seiten Papier? Weniges nur: Ein paar Erinnerungsfetzen, Gedankensplitter, Ausdeutungen:

Erster Abend:

22 Teilnehmer (Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsjuristen, drei Referendare: davon insgesamt nur drei Frauen) versammeln sich im großen, altväterlichen Saal der betagten Villa. Alle sitzen im Kreis, so daß jeder jeden sehen kann. Man stellt sich reihum der Gruppe vor - in der Methode "Kofferpacken": Jeder muß also wiederholen, was zuvor gewesen war. Wer das früher als Kind geübt hatte, ist gut dran...
Beim "Anredewunsch" wird das Spiel interessanter. Der "Guru" (wie alsbald mein Arbeitstitel für KV. lautet) hält sich, wie es jedenfalls scheint, heraus: "Das müßt ihr selbst und jeder für sich entscheiden!" ... Schon leuchtet das Problem von Nähe und Distanz, Wärme und Kühle, Abstoßung und Anziehung, Herrschaft und Unterwerfung am Rande auf, wie im nur kurzen Blinken. Aber man einigt sich hier schnell auf das allgemeine "du" oder ein "Sie" zum Vornamen, was sich später durchweg zum schlichten "du" abschleift.

Dann kommt Partnerwahl, je zu Zweiergruppen, zum wechselseitigen Austausch über die ersten 5 Minuten des Tages: "Gefühle, Gedanken, Ängste, Erwartungen ...?" Das tut man: ganz brav. Nachher wird es im Kreis erzählt. Offenbar war das Thema unergiebig gewesen, kein Mensch hatte sich auf die paar ersten Minuten beschränken können und wollen; so knüpfen die meisten bei der Prämisse lediglich an und erzählen irgend etwas - durchweg flüssig, zuweilen witzig, l’art pour l’art. Gefühligkeit kommt kaum auf, wird sogar ersichtlich gemieden.

KV.: "Ungewöhnlich gut vorgetragen, ihr versteht, den Sachverhalt zur Sprache zu bringen, ... selten habe ich es sonst so erlebt, doch die Juristen können eben das ... Aber: ihr seid wie Eis, habt keine Gefühle, klebt nur an der Oberfläche der Dinge, liebt die Sachen, nicht die Menschen ... euch muß man rütteln und schütteln!". Man reibt sich die Augen: Warum regt der sich so auf?

Themenwechsel: Dieses Seminar - welche Erwartungen, Gefühle und Einstellungen bringen wir ihm entgegen? Jetzt zeigt sich, daß es einen in der Runde gibt, der auf den Peitschhieb des Gurus schon gewartet hatte: Fritz (Name hier und auch sonst geändert!) - dunkler Bart, angeschlagen, Augenflackern - spricht von seinen "Ängsten", von der Gruppe nicht akzeptiert zu werden und sich nicht "einbringen" zu können. ... Das klingt ziemlich erbärmlich, man fischt Brocken aus dem Redestrom und wendet sie begütigend hin und her; von Ängsten scheint die Gruppe sonst nicht - oder noch nicht - weiter geplagt zu werden. ... Unser Guru indessen bricht nun eine Lanze für den Armen: Angst sei ein vernünftiges Grundgefühl, Weinen ein gutes Ventil für innere Nöte, und wer nicht weinen könne - der "Gefühls-Eisblock -, müsse es dringlich lernen. ...

Das Resumee der wenigen Stunden ist eine Frage: Wer ist dieser KV.? Wie er ist, davon hat man ein erstes Bild:

Klein, gedrungen, dunkel umbärtet; stechender, zugleich durchdringender Blick; der ganze Mensch in zunächst schwer erklärlicher Art beherrschend, ohne jede Spur von Heiterkeit, Humor oder Frohsinn; kontaktschwach, voll Ressentement jedenfalls gegen Juristen, dabei sanft und leise, von merkwürdiger Unbeweglichkeit; aber, wie zuletzt erlebt, hart zustoßend, feindselig, bedrohlich. "Bedrohlich" - vielleicht ist das auf Anhieb der erste Eindruck. ...

Erster Tag

Diverse harmlose Spiele zur Lockerung. ... Dann werden - in unterschiedlichen Zurichtungen - die Sympathien getestet: Drei Gruppen bekommen irgendwelche Aufgaben und müssen, um arbeitsfähig zu werden, Mitglieder kooptieren und ihre Wahl laut begründen; andere stehen im Außenkreis und beobachten, was vor sich geht.

Da hört man also: "Komm zu uns: du hast klug geredet, kannst kombinieren, scheinst geschickt zu sein, bist mir sympathisch, von dir versprechen wir uns etwas usw. usw." ... Letztlich bleiben einige, weil nicht erwählt, stehen - wie Mauerblümchen. Das alles wird dann in mehrfacher Brechung refektiert:

Scheinbegründungen (vorgeschützte Sachargumente statt puren Sympathiegefühls) werden entlarvt, hochnotpeinliche Fragen gestellt: Wie fühlten sich die, die keiner dazuhaben wollte? "Es war dir egal?! Wem willst du das erzählen, sei nur ehrlich ...!". Das ist zwar der Originalton des Guru, dessen stechender Blick über allem schwebt, aber andere können es inzwischen auch - oder zeigen jetzt, daß sie es schon längst konnten.

... "Wie erlebe ich dich, ... wer bin ich für dich, bist du für mich, wer redet hier ehrlich ... bringt sich rückhaltlos ein, was verbirgst du vor der Gruppe, warum mußt du mich verletzen ...?" usw. usw.: Um solche Befindlichkeitsbekundungen und - Ansprüche herum läßt sich viel Aufregendes arrangieren, mit der gleichen Vokabel echte oder aufgeplusterte Betroffenheit wecken und manch’ Zusammenbruch inszenieren.

Fritz ist arm dran: Er wankt den Kreis entlang, soll reden - von sich, zu anderen, kommt aber nur zum Stammeln: "Sage ich überhaupt, was ich denke? Wo sind meine Gefühle? Selbstreflexion, Denken, Empfinden: alles verschlüsselt, tief im Kerker ... Ich fliehe, fliehe ..., aber wohin?" Dann zu einem im Kreis (den er früher als "dunklen Wald" mit Ängsten umkreist zu haben vorgibt): "dich erlebe ich so positiv, wie du da so sitzt, aufgerichtet, mit ruhigem Gesicht, gerade und so locker!"Der offensichtlich erflehte Trost wird ihm gespendet. ... Dann krallt er sich in einen Schwachen: "Sag du mir was, sag etwas zu mir!" Der stammelt, mit scheuem Blick zum Guru: "Ich kann nicht recht, fühle mich unter Erfolgszwang, bin so gehemmt!". Vielleicht hätte er so nicht reagieren sollen, jedenfalls wird nunmehr Fritz, der eben noch sich selbst Kasteiende, erregt und fast brutal: "du (scil. der du dich da herumwindest!) bist mir gleich unsympathisch gewesen. ...".

Anschließend wird das durch den Fleischwolf der Gruppendiskussion gedreht:

M., der Moderator der (hier nur in kleinstem Ausschnitt skizzierten!) Runde, wird gelobt; auch KV. äußert sich diesmal wohlwollend.

Ich bin durchaus gegenteiliger Meinung; mir war der Kerl, der das Drama mit Fritz und Partner offenbar eingefädelt oder befördert hatte, herzlich zuwider. Sagt man so etwas? Ich lasse Vorsicht walten und formuliere "objektiv": die persönlichen Elemente seien wohl etwas zu stark akzentuiert worden - oder ähnlich. M. riecht den Braten sofort: "Meinst du mich, lehnst mich ab ...?" Ich bejahe vorsichtig, die Vorsicht wird alsbald entlarvt, ich werde in härtere Formulierungen gegenüber M. getrieben ...; aber, oh Wunder, der Getretene bedankt sich für die Mißhandlung, vermutet abwegigerweise nur - im Gegenzuge -, ich hätte mich von ihm wohl "unheimlich angegriffen gefühlt".

KV. interveniert - seltsamerweise ohne Schärfe - für M: Der sei zweimal in Encounter-Gruppen gewesen, habe da "unheimlich viel gerlernt", da sei mit ihm "viel gelaufen" ...

Beim Abendbrot hatten einige sich dahin verständigt, bislang sei bei der Geschichte noch nicht viel Brauchbares herausgekommen; man müsse doch endlich sachliche Ergebnisse ansteuern; Jürgen übernimmt es, dies unserem Guru "zu stecken". Das tut er dann gleich nach dem Essen in der großen Runde: Man könne ja vielleicht diskutieren, ob es nicht besser sei, sich um sachliche Resultate zu bemühen ... pp. Für KV. eine - wohl unerwartete - Kampfansage. Seine Augen werden klein, die Lippen schmal: Schon die Frage sei unehrlich, die ihn angreifende Unterstellung bleibe verschleiert. J. flüchte sich wohlweislich ins "man", sei also zu feige, "ich" zu sagen.

Rede und Gegenrede wechseln, die Sache schaukelt sich auf. J. solle sagen, um welches Problem es ihm konkret gehe:

"Mit wem willst du reden?". "Eigentlich mit dir, Klaus, die AG-Leiter hier, die kenne ich ja alle schon!". Juristische Arbeitsgemeinschaften- auf dieses Terrain wird der Guru sich nicht locken lassen:

"Dann mach’ hier eine AG, jetzt sofort - wen willst du dazu?" "Mir eigentlich egal ...!" "So redest du über Menschen!!!". KV. lauert in der Runde, ob seine Empörung denn nicht übergreift; aber noch sind keine gruppendynnamischen Hilfstruppen auszumachen. Jürgen sitzt auf dem feurigen Stuhl; jetzt ist er sichtlich angespannt und weiß, daß es für den Guru um einiges geht. J. bringt die Rede auf juristische Themen, von denen der andere nichts versteht und die er schleunigst beiseite setzen möchte, während J. insistiert. KV. wird schärfer und schärfer: "Kommunikationsverweigerung! ... Du bist ein Betonklotz ... selbstherrlich ...", dann knickt er - scheinbar verächtlich -weg: "Mit dir beschäftige ich mich jetzt nicht mehr, mir ist meine Energie zu schade ..., um dann unvermittelt mit sanfter Stimme zu fragen: "Hast du jetzt etwas gelernt?". Fangfrage! Denn auf ja folgt natürlich die Inquisition: "So sag an: was?", bei nein: "Also bist du unbelehrbar!".Es kommt also ein "Jein", was für neuen Zündstoff sorgt: ... "dein ewig schiefes Lächeln, all’ deine komischen Reaktionen könnten sich wohl auf frühkindliche Schädigungen zurückführen lassen. ..."

Der Rubikon ist längst überschritten: Einige hauen in die Kerbe des Guru: Ein unbelehrbarer, überheblicher, unerträglicher Mensch sei der J.. Andere springen dem Angegriffenen bei, wogegen KV. sein Veto einzulegen sucht. Aber er muß schließlich die Spielregel akzeptieren: Wird einer vom anderen angegriffen, mag er sich selbst wehren. Wenn aber - wie eben - die aus der Gruppe in die fertige Kerbe hauen, um jemanden kollektiv zu demontieren, dann kann jederman dem von der Meute Angefallenen beispringen. ...

Unser Guru scheint jetzt einigermaßen "geschafft" zu sein: Was heute war, sei nur eine "schwache Berührung der Persönlichkeit" gewesen; wenn deren Intensivierung oder Vertiefung abgeblockt werden sollte, dann könne das Seminar nicht "laufen".

Wie wird das morgen bloß weitergehen?

Günter Bertram