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Anton Friedrich Justus Thibaut
Dem Juristen und Musiker zum 225igsten Geburtstag

Als Anton Friedrich Justus Thibaut am 4. Januar 1772 - gleichaltrig mit Clemens Fürst von Metternich und Walter Scott - geboren wurde, war Matthias Claudius gerade zum Redakteur des "Wandsbecker Bothen" geworden und Ludwig Tieck schrieb für den Deutschen Merkur. Im vorrevolutionären Frankreich regierten noch Ludwig XV. und Madame Dubarry, in Östereich Maria Theresia, in Preußen Friedrich II. und in Rußland Katharina II. Als Thibaut 1792 in Göttingen das Studium der Rechtswissenschaften aufnahm, tobte in Frankreich die Revolution, und Mary Wollstonecraft veröffentlichte in England ihre Schrift "Die Verteidigung der Rechte der Frau".

1793 - während in Frankreich Ludwig XVI und Marie Antoinette enthauptet wurden - ging Thibaut nach Königsberg. Er hatte hier Gelegenheit, Kants Vorlesungen zu hören. Seine nächste Station war Kiel. Dort wurde er 1801 ordentlicher Professor für Römisches Recht.

1802 - in Frankreich wurde Napoleon Bonaparte gerade zum lebenslänglichen Konsul gewählt - folgte Thibaut einem Ruf nach Jena, wo er mit Goethe, Schiller und J.H. Voß bekannt wurde. 1805 - dem Jahr der Schlachten von Austerlitz und Trafalgar - nahm Thibaut einen Ruf nach Heidelberg an, wo er von nun an wirkte.

Er machte Aufsehen mit der 1814 erschienenen Schrift "Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland", in der er "recht aus der vollen Wärme meines Herzens", in leichter Lesbarkeit und sprachlichem Schwung für eine Kodifikation des gesamten deutschen - nicht nur einzelstaatlichen - Rechts plädierte. Hierfür entwarf er - heftig angegriffen von Savigny in dessen Schrift "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", einem kodifikationsfeindlichen rechtspolitischen Glaubensbekenntnis" - ein Kodifikationsprogramm.

Thibaut wurde mit seinem Wunsch nach einer einheitlichen nationalen Kodifikation von dem durch die Befreiungskriege gestärkten gesamtdeutschen Nationalempfinden geleitet, das sich jenseits der Fürstentümelei im deutschen Reiche einen nationalen Gesamtstaat wünschte. Die Zeiten waren umstürzlerisch genug. 1812 erlitt Napoleon eine vernichtende Niederlage in Rußland und floh mit den Resten seines Heeres nach Frankreich. 1813 gelangt in der Völkerschlacht bei Leipzig den Verbündeten Rußland, Preußen und Östereich der entscheidende Sieg im Befreiungskrieg. Thibaut machte keinen Hehl aus seiner Sympathie für das revolutionäre und national gesinnte Frankreich und die Gesetzgebung Napoleons. Vergleichbares schwebte ihm vor. Wie wir wissen, behielt zunächst Savignys historische Schule Recht. Thibauts Appell verhallte aber nicht. Schon Art. 64 der Paulskirchenverfassung von 1848 erklärte die Schaffung eines gemeinsamen Zivilgesetzbuches für eine Aufgabe des Reiches. Was später daraus wurde, begleitet uns täglich.

Hauptwerk Thibauts war jedoch das "System des Pandekten-Rechts". Zu seiner Zeit war es das maßgebende Werk. Die juristische Praxis sah darin noch lange über die Jahrhundertmitte hinaus das führende Pandektenlehrbuch. Seine Darstellung löste sich von der Ordnung des corpus iuris und stellte den Stoff in einer eigenen Systematik dar. Zu Ansehen und Nachruhm kam mit einer neuen systematischen Ordnung später Georg Arnold Heise in seinem "Grundriß eines Systems des gemeinen Zivilrechts". Heise wurde Präsident des Oberappellationsgerichtes in Lübeck und bewahrt seinen Nachruhm als eine der Bronzefiguren über dem Eingang des Hamburger Ziviljustizgebäudes. Thibaut legte als erster eine Irrtumslehre vor. Er unterschied zwischen Motivirrtum, Geschäftsirrtum, Irrtum über das Erklärungsobjekt und Irrtum über einen anderen Gegenstand.

Thibaut verdient Erinnerung nicht nur seiner juristischen Meriten wegen. Wie viele Juristen verfügte er über eine starke künstlerische Ader. 1825 erschien sein Buch "Über Reinheit der Tonkunst", das bis 1893 siebenmal aufgelegt wurde. In Heidelberg gründete er einen weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannten "Singverein", der besonders die alte Kirchenmusik pflegte.

Nach vielerlei Ehrungen starb Thibaut am 28.3.1840. Die Welt hatte sich verändert. Hatte während der Kindheit Thibauts gerade James Cook seine Erdumsegelungen vollbracht und vielerlei Irrtümer über die Beschaffenheit der äußeren Welt beseitigt, so veränderten in der Zwischenzeit eine Fälle weiterer Entdeckungen und Erfindungen das Weltbild - als Thibaut starb, maß Bessel die Fixsternentfernungen und Daguerre gelangt es, mit lichtempfindlichen Silbersalzen auf Metallplatten Bilder zu erzeugen. Goodyear erfand die Kautschuk-Vulkanisation. Die Musikszene zur Zeit der Geburt Thibauts wurde bestimmt durch Glucks Opern. In seinem Todesjahr komponierte Chopin seinen Valse Nr. 42, einige seiner Nocturnes und Polonaisen. Niccolo Paganini starb im selben Kahr. Klara Wieck und Robert Schumann heirateten. Welch eine Lebensspanne des Juristen Thibaut!

Karin Wiedemann