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Pensenschlüssel:
Ein Pyrrhussieg in Hessen

In Hessen hatte eine Einigungsstelle (4 Ministerialbeamte, 3 Richter) folgenden Fall zu entscheiden (DRiZ 96, 283, 206).

In Hessen ist der Pensenschlüssel als Maßstab für den Bedarf an Richtern mitbestimmungspflichtig. Der zuständige Bezirksrichterrat verweigerte seine Zustimmung zum Pensenschlüssel. Das Hessische Justizministerium wollte diese Zustimmung durch die Einigungsstelle ersetzen lassen und "verlor".

Bei Anwendung des Pensenschlüssels ergab sich für das Jahr 1993 ein Bedarf an 404 zusätzlichen Richtern; der zusätzliche Bedarf erhöhte sich im Jahr 1994 auf 437 Richter, so daß das vom Ministerium selbst errechnete Stellensoll nur zu rund 75 % abgedeckt war. Die Einigungsstelle hielt eine an dieser Berechnung orientierte Forderung an den Haushaltsgesetzgeber für unrealistisch. Auch das Ministerium selbst habe den Pensenschlüssel nicht oder nur sehr zurückhaltend zum Maßstab seiner Stellenforderungen im Rahmen der Haushaltsgespräche gemacht. Dies zeige, daß der Pensenschlüssel als Maßstab für Stellenforderungen untauglich sei.

Der Pensenschlüssel trage nicht einer adäquaten Arbeitsbelastung der Richterschaft oder der einzelnen Richter Rechnung, so daß die Richtervertretung nicht der Gefahr einer ständigen Überforderung entgegenwirken könne.

Darüber hinaus sei der Pensenschlüssel von der Verwaltung erstellt; die Verwaltung könne jedoch den Haushaltsgesetzgeber bei der Bedarfsberechnung nicht binden.

Außerdem könnten Stellenforderungen nur dann Erfolg haben, wenn sie auf einer leistungsfähigen und nachvollziehbaren Personalbedarfsberechnung beruhen. Eine methodisch einwandfreie arbeitsanalytische Untersuchung sei auch bei der Tätigkeit von Richtern möglich und geboten.

Der hessische Justizminister hat auf die Möglichkeit, eine Kabinettsentscheidung herbeizuführen, verzichtet, so daß der Pensenschlüssel in Hessen nicht für die Personalbedarfsberechnung verbindlich ist. Unberührt davon ist die Binnenfunktion des Pensenschlüssels als Maßstab zur Verteilung der vorhandenen Richter auf die verschiedenen Gerichte.

Der Spruch der Einigungsstelle ist nicht überzeugend. Entgegen der Einigungsstelle stellt der Pensenschlüssel (zuletzt abgedruckt in DRiZ 1994, 396) nicht nur "im besten Fall einen Wunschkatalog" dar. Die Einigungsstelle bleibt für die Behauptung, der Pensenschlüssel ermittele den Bedarf nicht in angemessener Weise, die konkrete Darlegung schuldig.

Der Pensenschlüssel wurde von den Justizministern aller Bundesländer unter Berücksichtigung einer Vielzahl von objektiven Kriterien unter immensem Aufwand erarbeitet (vgl. hierzu Hückstädt/Lauterbach, SchlHA 1976, 101) und in der Folgezeit den Veränderungen bis heute immer wieder angepaßt. Es erstaunt doch sehr, daß die Einigungsstelle diese Bemühungen mit einem Wisch verwirft und lediglich sagt, das Ergebnis passe nicht, denn es komme ein zu hoher Bedarf heraus, und die Justiz habe ja bislang trotzdem überlebt. Die Einigungsstelle sagt aber nicht, was alle Justizminister aller Länder alle Jahre hindurch konkret falsch gemacht haben und wie es denn konkret hätte besser gemacht werden können; die bloße Möglichkeit anderer Bewertungsmaßstäbe reicht dazu nicht. Das Erledigungsverhalten der Richter, das die Einigungsstelle als Bemessungskriterium ablehnt, ist nur einer von mehreren Gesichtspunkten, die der Aufstellung des Pensenschlüssels zugrundeliegen; die Aufweichung der Berechnung nur nach der Erledigungszahl war gerade das Anliegen der in den siebziger Jahren erfolgten Reform des Pensenschlüssels (Hückstädt u.a., a.a.O., sub III). Und auch bei den von der Einigungsstelle angemahnten arbeitsanalytischen Methoden wird das Erledigungsverhalten faktisch nicht ganz als Kriterium ausgeschlossen werden können.

Die Personalbedarfsberechnung berücksichtigt nicht nur die originären Richteraufgaben wie Verhandlungsführung und Urteilschreiben, sondern durch Zuschläge auf den Pensenschlüssel auch Anteile für Verwaltungsarbeit, Ausbildung, Ausfallzeiten (Erkrankungen, Mutterschutz), Einarbeitung neuer Kräfte, Freistellungen und Abordnungen.

Im Rahmen der Fortschreibung des Pensenschlüssels fanden u.a. auch die Arbeitszeitverkürzungen Eingang.

Daß die derartige Anwendung des Pensenschlüssels seit vielen Jahren zu einem hohen zusätzlichen Bedarf an Richtern gelangt, zeigt nicht - wie die Einigungsstelle meint -, daß der Pensenschlüssel überzogen ist, sondern zeigt lediglich, daß der Haushaltsgesetzgeber langfristig nicht gewillt ist, die Vielzahl von kostenproduzierenden Faktoren eines Richters zu bezahlen.

Wenn der Haushaltsgesetzgeber den von der Verwaltung erarbeiteten Pensenschlüssel nicht anerkennen will, dann entbindet ihn dies nicht von der (auch von der Einigungsstelle anerkannten) verfassungsrechtlichen Pflicht, die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Vielmehr müßte der Haushaltsgesetzgeber dann sagen, nach welchen anderen Kriterien er bestimmen will, was erforderlich ist. Solange er dies nicht tut (und er hatte hierfür Jahrzehnte Gelegenheit), ist meines Erachtens der Pensenschlüssel für Stellenanforderungen nicht nur geeignet, sondern für den Haushaltsgesetzgeber auch verbindlich, und zwar unabhängig davon, wer ihn erstellt hat. Denn der Pensenschlüssel ist derzeit der einzige aktuell zur Verfügung stehende Maßstab.

Nicht nachvollziehbar ist die Logik der Einigungsstelle, der Pensenschlüssel sei nicht verbindlich, weil sich der Haushaltsgesetzgeber nicht daran halte. Vielmehr ist der zusätzliche Bedarf einzufordern. Der Haushaltsgesetzgeber hat nicht die Wahl, erforderliche Mittel bereitzustellen oder nicht; eine Steuerung der Ausgabenhöhe ist über die zum Teil eingeleitete Optimierung der Verwaltung hinaus rechtlich nur möglich durch Aufgabenreduktion, auch wenn diese zum Großteil nur auf Bundesebene erfolgen kann.

Die Ansicht der Einigungsstelle, der Haushaltsgesetzgeber "kann aber nur in die Pflicht genommen werden, wenn ... Stellenanforderungen ... auf einer leistungsfähigen und nachvollziehbaren Personalbedarfsberechnung beruhen", dann "wäre eine breitere politische Akzeptanz für die Stellenwünsche der Justiz zu erwarten", ist blauäugig.

Wenn es um die bloße Akzeptanz in dem Sinne ginge, daß man der Justiz den zusätzlichen Bedarf glaubt, dann würden ihr bereits heute zusätzliche Stellen in Massen bewilligt, denn daß zusätzlicher Bedarf vorhanden ist, ist allgemeiner Konsens, auch an maßgeblicher Stelle.

Wenn es aber um den Willen geht, einen geglaubten Bedarf zu erfüllen, dann wird auch eine andere "leistungsfähige und nachvollziehbare Personalbedarfsberechnung" dem Haushaltsgesetzgeber keine zusätzlichen Stellen entlocken, zumal die neue Berechnung wieder von der Verwaltung erstellt würde und darum - nach der Einigungsstelle - für den Haushaltsgesetzgeber nicht bindend wäre.

Die in Hamburg im Rahmen der Budgetierung noch zu erstellenden Produkt- und Leistungsbeschreibungen sind genau die von der Einigungsstelle verlangten neuen Maßstäbe. Und dennoch wird bereits jetzt verlautbart, daß das zuzuweisende Budget sich am Ist-Zustand orientieren wird und nicht an dem mit den Produkt- und Leistungsbeschreibungen ermittelten Bedarf, obwohl die Erstellung von Produkt- und Leistungsbeschreibungen von der Bürgerschaft selbst verlangt wurde.

Wolfgang Hirth