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Neue Gefängnisse
in Hamburg?

Ein in der Justizgeschichte einmaliger Fall. Ein Amtsrichter berühmt sich harter Strafen, will mit seinem Urteil gegen eine Autokratzerin "ein Signal" setzen, erteilt gegen die Kolleginnen und Kollegen seiner Zunft, die möglicherweise anders denken als er, Rundumschläge und läßt sich wie ein Troubadour einer neuen harten Welle allerorts feiern. Dabei denkt er - wie er vorgibt - an die Gefühle der Opfer, an Volkes Stimme, verwandelt die Hauptverhandlung zum Tribunal ("Ein Richter sieht rot" - Hamburger Abendblatt vom 21.08.1997) und macht die Angeklagten zum Schauobjekt seiner Art der "Rechtsfindung", natürlich mit politischem Augenmaß ("Voscheraus Mann" - Hamburger Morgenpost vom 27.08.1997 S. 2).

Ein neues Richterbild ist entstanden, in Leserbriefen bejubelt. Es ist der Richter "Gnadenlos". Eine Justiz "mit Herz für die Verbrecher" ist zum Schimpfwort geworden, der herzlose Richter ist gefragt.

Ich gebe es zu: Ich gehörte während meiner Phasen als Strafrichter auch zu den "Laumännern". Dabei gab es sicherlich Kolleginnen und Kollegen, die "härter durchgriffen". Aber wir begegneten einander mit Respekt, so lange wir der Meinung waren, daß die Entscheidung des anderen sorgfältiger Abwägung und der inneren Überzeugung entsprang. Ich empfand Hochachtung vor Herrn Heinsohn, dem früheren Vorsitzenden des Schwurgerichts, ich hielt aber auch Herrn Bürrig, zuletzt Vorsitzender eines Strafsenats, für einen Richter "mit Herz am rechten Fleck" (vgl. Bürrig, Hamburger Abendblatt, 26.08.1997, S. 12). Bei allen unterschiedlichen Meinungen im Einzelfall - eines hätte unserem beruflichen Verständnis widersprochen: Mit unseren Entscheidungen auf den Markt zu gehen, Recht auf Kosten der Angeklagten (und der Opfere) zu prostituieren.

Als Jugendrichter beim Land- und Amtsgericht schloß ich auch mit den sog. progressiven Jugendrichtern meinen Frieden, nachdem ich festgestellt hatte, daß es ungleich mehr Arbeit macht, einem jugendlichen Angeklagten zur Wiedereingliederung zu verhelfen, ihm eine Lehrstelle zu beschaffen, als ihn schlicht abzuurteilen. In einem Punkt waren wir uns alle einig: Angesichts der Unzulänglichkeiten des Strafvollzuges, der Defizite im sozialen Umfeld ist der Strafrichter ein Richter mit schlechtem Gewissen, dem große Worte, Arroganz und Selbstherrlichkeit fremd sein sollten.

Aber vielleicht haben uns andere Bilder und Erlebnisse geprägt:

Anläßlich der Wiedereröffnung der Hamburger Gerichte am 22.09.1946 sagte der damalige Oberlandesgerichtspräsident u.a.:

"Wir leben in einer Zeit materieller und seelischer Not. Einer unvorstellbaren Not, wie sie selbst die Jahre nach dem dreißigjährigen Kriege nicht gekannt haben dürften. Mehr denn je sind die Menschen, die mit uns in unserer Arbeit in Berührung kommen, an Körper und Seele zermürbt, an Nerven und Kraft geschwächt, innerlich zerrüttet. Da ist nicht der kalte Paragraph des Gesetzes, sondern das warme Menschenherz, das mitfühlend die Bürde mittragen helfen muß. ...

Der Intellekt mag einmal versagen, diese soziale Pflicht darf es nie."

Sicherlich, Worte aus einer anderen Zeit, die eine schneidige neue Richtergeneration nicht mehr berühren werden. Der Zeitgeist hat sich eben verändert. Es ist der Zeitgeist des wilden Aktionismus, dem jedes Mittel und Argument recht ist, Volkes Gunst zu erwerben, mag es auch noch so falsch sein, jeder Redlichkeit und Fairneß widersprechen. Die zunehmende Spanne zwischen Arm und Reich fordert geradezu dazu auf, die Versager der neuen Gesellschaft möglichst lange wegzuschließen, die immer weniger werdenden, die wir fangen (Jugendkriminalität), um so höher zu hängen. Zur Diskussion steht alles, wenn es beliebt, auch die Altersgrenzen im Jugendverfahren. Ich könnte mir vorstellen, daß selbst die Todesstrafe neue Anhänger finden wird, sind wir doch im Ändern des Grundgesetzes in letzter Zeit nicht mehr so pingelig.

Die Unglaubwürdigkeit des ganzen Geredes wird jedoch dadurch deutlich, daß diejenigen, die heute harte (und lange) Freiheitsstrafen fordern, nicht folgerichtig auch neue Gefängnisse versprechen, tun sich doch diese hardliner auch dabei schwer, die geschlossene Unterbringung in Hamburg wieder einzufordern.

In der Rat- und Konzeptlosigkeit unserer Zeit ist es leicht, die in ihren Strukturen noch immer veraltete Justiz zum Prügelknaben zu machen. Soll sie - oft am letzten hoffnungslosen Ende stehend - an den wenigen, die sie hat, Exempel statuieren, Zeichen für eine "wehrhafte Demokratie" im Sinne von Weichmann setzen, den Menschen zu "humanen Maßstäben" verhelfen (Vogel, "Der Mensch ist nicht gut", Hamburger Abendblatt vom 30./31.08.1997, S. 17), wenn selbst der Rechtsunterricht an den Schulen gestrichen worden ist?

Auch ich habe keine Rezepte. Mehr Bescheidenheit angesichts begrenzter Möglichkeiten der Richter und Staatsanwälte würde ich erbitten. Die Justiz allein kann nicht das nachholen, was andere in der Erziehung versäumt haben. In unseren Strafanstalten wird - so beklagenswert das auch sein mag - überwiegend nur verwahrt, keinesfalls resozialisiert. Und was das schnellere Einsperren anbetrifft, so möge doch zur Kenntnis genommen werden, daß der Haftbefehl nach (noch) geltendem Recht Fluchtgefahr voraussetzt. Ein Exempel statuieren zu wollen, war noch nie ein Haftgrund, sondern ist Rechtsbruch.

Diejenigen, welche die Arbeit der Richter und Staatsanwälte in Einzelfällen auch zu Recht kritisieren, mögen doch in die öffentlichen Verhandlungen der Gerichte kommen, um nach der Verhandlung mit den Berufs- und Laienrichtern über deren Tun zu diskutieren, so wie es allen Schulklassen angeboten wird. Mehr tätiges Interesse an der Arbeit der Gerichte würde mehr helfen, als das Reden in talk-shows und das Schreiben von Leserbriefen. Richtern und Staatsanwälten würde ich empfehlen, zwischen den Dienststellen zu wechseln. Die kritisierten Schwurgerichts-Vorsitzenden kamen überwiegend vom Amtsgericht.

Ich fürchte allerdings, schaut die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen weiterhin schweigend zu, wird in nicht allzu ferner Zeit die schnelle Verhandlung mit harter Strafe in "Qualitätszirkeln" als besonders anerkennenswerte Leistung mit guten Beförderungschancen bezeichnet. 10 Jahre für den Pizzadieb - und die "humanen Maßstäbe" sind an den Stammtischen wieder in Ordnung.

Übrigens: Wir brauchen dringend ehrenamtliche Bewährungshelfer. Jeder ist gefragt. Vielleicht läge hierin ein neuer Ansatz: Rechtspflege (nicht Justiz) als Gemeinschaftsaufgabe aller zu begreifen, dies auf dem Boden des Grundgesetzes - Demokratie lebt gerade in einem sozialen Rechtsstaat von der Mithilfe und Mitverantwortung (vgl. "Das Grundgesetz ohne Gott" ZRP 1984 S. 216).

Roland Makowka