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 Die Justiz und ihre
Vergangenheit
MHR 2/83

Zur Einführung

Im Jahre 1935 hatte ein junger Rechtsanwalt vor dem Strafsenat des HansOLG Hamburg einen Mandanten zu vertreten, der u.a. des Hochverrats beschuldigt worden war; dabei wurde ihm eine Betätigung in der KPD vorgeworfen, die er zunächst bestritten, dann aber im Verhör der Gestapo zu Protokoll eingeräumt hatte. Dieses Geständnis war durch Schläge und schwere Mißhandlungen herbeigeführt worden. Vor dem Strafsenat bestritt der Angeklagte - zum Ärger des die Verhandlung führenden Oberlandesgerichtsrats - die ihm zur Last gelegten Handlungen. Der Vorsitzende war im Begriff, ohne weitere Befragung des Angeklagten die Belastungszeugen zu vernehmen; was jetzt geschah, hat der damalige Verteidiger wie folgt geschildert:

"In diesem Augenblick griff ich ein und bat, vor Eröffnung der Beweisaufnahme den Angeklagten darüber zu befragen, unter welchen Umständen er das oben zitierte Protokoll unterschrieben habe und ob er insbesondere anläßlich der Unterzeichnung dieses Protokolls von den Beamten der Geheimen Staatspolizei geschlagen worden sei. Ich hatte die Frage kaum ausgesprochen, als der Staatsanwalt aufsprang und den Vorsitzenden des Gerichts ersuchte, die Beamten der Geheimen Staatspolizei gegen derartige Angriffe der Verteidigung in Schutz zu nehmen.

Oberlandesgerichtsrat ... erhob sich seinerseits aus seinem Stuhl, stützte sich mit seinen Händen auf den Richtertisch und sagte zu mir: "Herr Verteidiger, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß, wenn auch die Verhandlung hier unter Ausschluß der Öffentlichkeit erfolgt, eine derartige Frage, wie Sie sie gestellt haben, dazu führen kann, daß Sie hier im Saale festgenommen und in Schutzhaft abgeführt werden. Wollen Sie die Frage aufrechterhalten oder nicht?"

Mir sind die Einzelheiten deshalb noch so genau im Gedächtnis, weil sie für mich
außerordentlich eindrucksvoll waren. Ich habe auch später über diesen Fall immer wieder berichtet, weil er mir typisch für die nationalsozialistische Justiz zu sein schien.

In die Totenstille, die der von Oberlandesgerichtsrat ... an mich gerichteten Frage folgte, fielen zur Überraschung aller plötzlich die Worte des beisitzenden Richters Dr. ... Diese Worte habe ich noch genau im Gedächtnis, sie lauteten: "Der Herr Verteidiger braucht seine Frage nicht aufrechtzuerhalten, ich übernehme sie von Gerichts wegen."

Ich weiß nicht, ob ich persönlich den Mut aufgebracht hätte, unter dem Druck der Situation und als eben zugelassener Anwalt, an meiner Frage festzuhalten. Herr Dr. ... enthob mich jedoch dieser Entscheidung. Ich habe diesen Mut eines deutschen Richters aufrichtig bewundert. Ich stand auch unter dem Eindruck, daß nur ein schwer kriegsbeschädigter Richter aus dem Kriege 1914/18 sich einen derartigen Mut ungestraft leisten konnte."

(Quelle: Ilse Staff, Justiz im Dritten Reich, Frankfurt 1964 S. 122-124)

Vieles andere verdient es, dem Vergessen und der Vergangenheit entrissen zu werden - Dokumente über "negative" und "positive" Beispiele; die Literatur ist eine geräumige Fundgrube. Sie erlaubt es dem Apologeten ebenso wie dem leidenschaftlichen Kritiker, sich "selektiv" zu bedienen: Man kann Anstand und richterlichen Mut trotz Diktatur in den Vordergrund rücken, die Justiz rundum verdammen oder dahin streben, Licht und Schatten ins Gleichgewicht zu setzen, wofür das Eingangsbeispiel wie ein Modell erscheinen könnte. Man kann aber auch versuchen, die historische Wahrheit zu erforschen, was immer sie an Bösem oder Erhebenem enthält.

Das umfangreiche Buch Hubert Schorns - der Richter im Dritten Reich; Geschichte und Dokumente - Frankfurt 1959 - verfolgte den erklärten Zweck, die These zu widerlegen, in Westdeutschland herrsche die ungebrochene Kontinuität zur Blutjustiz der NS-Sondergerichte. Nicht so sehr der vom Verfasser vorweg offengelegte apologetische Sinn der Schrift, sondern der gleichwohl gestellte Anspruch, eine objektive Bilanz von Licht und Schatten vorzulegen, mußte Kritik wecken: "....... a b e r 700 und mehr Seiten des Verstehenswollens sind einfach des Guten zuviel, sind mehr als irgendeiner, der mit dabei war oder die Dinge vom Rande her mitansehen mußte, ertragen kann", heißt es mit Recht in einer frühen Rezension (Prof. Bader in JZ 1860 S. 1-4), die zugleich weiteres Schrifttum zum Thema vorstellt.

Im Laufe der Jahre sind weitere, auch umfangreiche Schriften und Untersuchungen erschienen, die das Thema insgesamt behandeln oder besondere Aspekte ausleuchten, wobei für Hamburg auf die Bücher von Johe (Die gleichgeschaltete Justiz, Frankfurt 1967) und Robinson (Justiz als politische Verfolgung, Stuttgart 1977) hingewiesen werden mag. Die evangelische Akademie Bad Boll hat sich in den Jahren 1981 und 1982 insgesamt dreimal mit dem Thema "Justiz und Nationalsozialismus" beschäftigt; die Protokollbände (die gegen Kostenerstattung von dort beziehbar sind) enthalten eine Fülle von Referaten, Beiträgen, Thesen und Zeitzeugenberichten, die gerade deshalb, weil sie keineswegs auf einen gemeinsamen Nenner passen, zu einer eigenen Urteilsbildung beitragen können. Schließlich ist auch die Geschichte des Deutschen Richterbundes ein Teil des bedrückendes Unterfangen. Daran hat unlängst der Regierungsdirektor im BJM Hans Wrobel in der Kritischen Justiz (Heft 4/1982 S. 323 ff) erinnert. Wahrscheinlich wird es uns gelingen, ihn für die Hamburger Justiztage 1983 als Referenten oder Gesprächspartner für ein entsprechendes Thema zu gewinnen.

Im Jahre 1967 - also vor 15 Jahren - hat Herr Senatspräsident a.D. Dr. Fritz Valentins auf einer Fortbildungsveranstaltung im "Haus am Schüberg", Hoisbüttel, zum Thema gesprochen. Seine Ausführungen greifen weit und tief, skizzieren einen persönlichen Weg und den einer Generation und zeichnen die Wegmarken einer Epoche, die heute vor 50 Jahren begann und später in Trümmern - nicht nur materieller Art! - ihr Ende fand. Fand sie wirklich ihr Ende? Darum geht heute, wie mir scheint, vornehmlich der Streit, nicht selten auf Kosten geschichtlicher Präzision. Es wird nicht unnütz sein, wenn unbeschadet neuer Fragen und spezieller Kontroversen Haltung und Denkansatz wieder sichtbar gemacht werden, mit denen vor eineinhalb Jahrzehnten ein Mann vom Range Dr. Fritz Valentins an diese Fragen herangetreten ist. Der ganze Vortrag umfaßt 30 Spalten; jetzt muß es bei wenigem sein Bewenden haben. Auf den Sonderdruck aus dem Hamburgischen Justizverwaltungsblatt Nr. 9 vom 30.09.1967 sei aber verwiesen.