(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/98) < home RiV >

Der "MHR-Mann"

Es gibt Menschen, die verwischen den Gedanken an das Davor. Wie war das, bevor er die Redaktion des Mitteilungsblattes übernahm? Wann war das eigentlich noch? Menschen dieser Art lassen keinen rechten Raum für das Danach. So ist es immer, wenn jemand sich in den Dienst einer Sache stellt und seinen Platz ausfüllt. So ist es mit Günter Bertram.

Seit ich auf den Hamburgischen Richterverein aufmerksam wurde - es war erst nach einigen Jahren Amtszeit im Jahre 1982 - war Günter Bertram dessen Sprachrohr, kritischer Begleiter des Justizgeschehens und des öffentlichen Lebens weit darüber hinaus. Sein unnachahmlicher Stil, seine genaue und entlarvende, aber niemals übelwollende oder herabsetzende Weise, die Dinge auf den Punkt zu bringen, haben das Niveau der Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins (MHR) begründet und dieses Blatt weit über die bekannten Verlautbarungen berufsständischer Organisationen herausgehoben. Sein nie erlahmendes Interesse an den Angelegenheiten unser Zeit ist ansteckend. Unabhängig davon, ob er gegen einen justizpolitischen Skandal anschrieb oder sich über ein "Unwort"mokierte, Urteile kommentierte oder Aufgeregtheiten zurechtrückte, immer verschafft er seinem Thema Gehör - nicht sich selbst. Seine Person in den Vordergrund zu schieben, ist die Sache Günter Bertrams nicht. Das unerschöpfliche Reservoir seiner Bildung und Erfahrungen ist das Fundament seiner Beiträge, er trägt es nie vordergründig zur Schau. Sein Antrieb, sich zu Wort zu melden, ist allein die Sache.

Angefangen hat es am 1.1.1980. Im Herbst 1979 hatte Kollege Remé die Herausgabe des Blättchens des Richtervereins hingeworfen. Ein Streit mit Landgerichtspräsident Erhardt war der Grund. Der Vorstand des Richtervereins - voran der Vorsitzende, Vizepräsident des Amtsgerichts Roland Makowka, sein Vertreter Dr. Helmut Münzberg und Dr. Günter Olters - wollte unbedingt ein Sprachrohr für den Richterverein. Die Informationsgesellschaft war noch nicht Gegenstand der Gesellschaftskritik, sonden Gebot der Stunde.

Die Drei wandten sich an Günter Bertram. Dieser hatte dem Richterverein eine Zuschrift zukommen lassen. Erfahrene Zeitgenossen wußten: Wer seine Nase zum Fenster herausstreckt, wird sofort engagiert. So auch hier. Das überredungserprobte Trio sprach den Unvorsichtigen an. Münzberg murmelte etwas von "Wir müssen die Mitglieder doch über die Vorstandsarbeit informieren", Roland Makowka zog an seiner Zigarette und beobachtete den Kandidaten kritisch, Olters versprühte Charme und gute Laune. Das Ergebnis dieser Offensive waren 18 Jahre Chefredaktion Günter Bertrams.

Das Mitteilungsblatt des Richtervereins zeigte sich zu dieser Zeit als zusammengeheftetes Blättchen aus gelblich-grauem Papier. Geschrieben wurde es von der vizeamtsgerichtlichen Vorzimmerdame Frau Stimpel. Sie schrieb mit hakeliger Schreibmaschinentype auf Matritzen. Die Druckerei zog es in bläulicher Schrift ab. 1981/1982 mit dem Wechsel des Vorsitzenden Makowka zum Landgericht ging das Schreibwerk auf Frau Voß über, die freundlich und zuverlässig die Stürme über sich ergehen ließ. Natürlich war auch schon damals niemals etwas pünktlich fertig, nur fiel es nicht auf, denn regelmäßige Erscheinungstermine gab es noch nicht.

Ich kam 1985 zur Redaktionarbeit, nachdem ich zuvor auf Anregung Dr. Makowkas einige Artikel zur Hamburgischen Justizgeschichte geschrieben hatte. Äußerlich erkennbar wurde meine Mitwirkung durch die revolutionäre Einführung eines richtigen Titelblattes, gesetzt in Letraset-Buchstaben. Die Beiträge wurden weiterhin auf einer Schreibmaschine durch Frau Voß, später Frau Hamann geschrieben. Erst vor einigen Jahren gelangt die Umstellung auf das Datenzeitalter: Frau Hamann lernte Winword!

Die Redaktionsarbeit mit Günter Bertram war stets erfrischend. Die eigentliche Sache war schnell besprochen, bzw. durch seine kleinen Briefe auf den rechten Kurs gebracht. Schreibmaschinengeschrieben und natürlich nicht ohne einige später temperamentvoll eingefügte handschriftliche Anmerkungen waren sie. Welche Artikel wollen wir bringen? Wer soll um einen Beitrag gebeten werden? Muß der eingereichte Artikel tatsächlich gebracht werden? Wer redet ihn dem Autor aus? Darf man einem Senator, der mit seinem Bericht nicht fertig wird, den geplanten Redaktionsschluß opfern?

Letzteres hat den einzig Konflikt mit dem Vorsitzenden des Hamburgischen Richtervereins hervorgerufen, an den ich mich entsinne. Ohne die Redaktion zu fragen, hatte Roland Makowka dem Justizsenator Hardraht versprochen, das bereits druckfertige Blatt zwei Tage "anzuhalten", weil Hardraht noch eine Erwiderung zu einem Artikel schreiben wollte, der ihm zuvor zur Verfügung gestellt worden war (auch eine Untat übrigens). Die aus Günter Bertram und mir bestehende Redaktion stand auf der Zinne und drohte mit Rücktritt, falls nicht hoch und heilig versprochen würde, daß solche Eingriffe in die Redaktionsarbeit nie, aber wirklich nie wieder vorkämen. Dies wurde versprochen und gehalten.

Günter Bertram hat auf solche Fragen sehr geachtet. Dies zu Recht, denn nur eine unabhängige Redaktion kann die Aufgabe wahrnehmen, dem Hamburgischen Richterverein eine hörenswerte Stimme zu verleihen. Diese war in Bertrams Zeit niemals nur diejenige des Vorsitzenden oder einiger Weniger. MHR hatte immer Raum für ein breites Spektrum von Meinungen - sei es zur Frage der Friedensdemonstration von Kollegen, sei es zur Jugendkriminalität oder jüngst zu den Umtrieben des Kollegen Schill und den mehr oder weniger überzeugenden Reaktionen darauf. Das Mitteilungsblatt war ein Forum der Meinungsvielfalt innerhalb der Hamburger Justiz und wird dies auch künftig sein.

Die Aufgaben Günter Bertrams im Richterverein waren vielfältig, auch wenn er in den letzten Jahren dem Vorstand nicht mehr angehörte. Er war eine Art Protokollchef in Sachen des schriftlichen Benimms und der Abfassung von Presseerklärungen zu aktuellen Problemen, ebenso wie ein ehrlicher Ratgeber in Berufsstandesfragen oder dienstlichem Ärger. Als guter Zuhörer begleitete er die Darstellung des Ratsuchenden, den er dadurch auf den eigenen Weg führte.

Anders als seine berufliche Sphäre hat das Mitteilungsblatt einen Vorteil - Günter Bertrams bleibt uns mit seinen Artikeln erhalten - er hat versprochen, weiterhin auch für MHR zu schreiben und bei der Redaktionsarbeit mitzuhelfen. Freuen wir uns darauf.

Karin Wiedemann