(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/98) < home RiV >

Strafjustiz auf dem Prüfstand

Letztes Jahr - zumal während des Bürgerschaftswahlkampfes - wurde in Hamburg über die Strafjustiz lebhaft gestritten: Ob sie durch gelegentliche, wiederholte oder gar ständig zu milde Urteile oder andere Unzulänglichkeiten schuld sei an wachsender Kriminalität - oder ob alle Vorwürfe falsch, weit übertrieben oder vielleicht nichts als bloße Hysterie einer wildgewordenen Presse seien. Vom Strafrecht und seinen Untiefen ist in den MHR schon zuweilen die Rede gewesen. Die Kontroverse um den Kollegen RiAG Schill, dessen pointierte und publikumswirksamen Auslassungen von manchen Medien mit wilder Gier aufgegriffen worden waren, gehört dazu. Wie jeder weiß, ist die Kriminalitätsdebatte viel älter, längst nicht zu Ende und wird auch an kein Ende kommen, solange die Erde steht und der Mensch ist, wie er nun einmal ist.

Unlängst hatte der Richterverein (gemeinsam mit der Gesellschaft Hamburger Juristen und dem Kommunikationsverein) dem Thema in drei Podiumsveranstaltungen noch einmal nachzugehen gesucht:

Strafjustiz auf dem Prüfstand:

  1. 3. Februar: Höhere Strafen - Der Schlüssel zum Erfolg?
  2. 4. März: Ist das liberale Jugendstrafrecht gescheitert?
  3. 2. April: Strafverfahren - Die Medien ein Zerrspiegel?

Das Fazit - nach drei recht gut besuchten Podiumsveranstaltungen in der Grundbuchhalle -: wie lautet es denn?

"Der Vorhang zu, und alle Fragen offen!" Oder, was dasselbe, nur umständlicher gesagt, wäre: Man hat unterschiedliche Aspekte einer höchst komplexen Problematik zur Sprache gebracht, ohne sie im geringsten erschöpfen zu können - zur Sprache gebracht in zulänglicher oder schiefer Akzentsetzung - je nach Podium, Moderation und sachlichem und rhetorischem Vermögen der Beteiligten. Auch hier ist es wieder so, daß jetzt der Referent der MHR arm dran wäre, wenn er sich auf bruchstückhafte Kurzfassungen (mehr wäre ohnehin nicht "drin"!) darüber kaprizieren müßte, wer damals wozu im Ergebnis was gesagt hatte: Das könnte gar nicht anders als sowohl sterbenslangweilig als auch unergiebig werden. Wer dort war, hat seinen Eindruck empfangen; wer nicht: dem ist letztlich nicht zu helfen. Deshalb beschränke ich mich, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, Ausgewogenheit und dgl. auf ein paar kursorische Bemerkungen:

a) Höhere Strafen -
Der Schlüssel zum Erfolg?

Hier lag schon in der besonderen Griffigkeit der Themenformulierung die Antwort: "Natürlich nicht ...!". Keiner der Podiumsgäste konnte sich entschließen, als advocatus diaboli die Rolle des Scharfmachers zu übernehmen: RA Kury wie auch Prof. Sack hielten die Bestrafung durch Freiheitsentzug überhaupt für problematisch, während VRiLG Seedorf ebenso wie OStA Köhncke - ohne ins Extrem zu verfallen - immer noch die Unverzichtbarkeit einer Generalprävention hervorhoben. An diesem Abend war das Publikum (jedenfalls Besucher, die sich dafür Gehör zu verschaffen wußten) auf energische Kritik an einer zu milden Strafjustiz gestimmt: Der Opferaspekt werde sträflich verkannt, die Leute oben auf dem Podium wurden ersucht, sich doch mal z.B. in Schulen umzuhören, und die Kids berichten zu lassen, was an Gewalt und Abzieherei dort inzwischen eingerissen sei ("es gärt!"), und das lichtscheue und kriminelle Treiben auf öffentlichen Plätzen in Hamburg selbst in Augenschein zu nehmen usw. Die Behauptung, daß Strafen nicht abschreckten, sei falsch ..., das Gegenteil (jedenfalls für gewisse Bereiche) inzwischen auch wissenschaftlich erhärtet. ...

b) Ist das liberale Jugendstrafrecht
gescheitert?

Erwartete man nach diesem Auftakt für den 4. März eine Publikumsstimmung, die gerade an die Jugendgerichtsbarkeit kritische Fragen stellte, wurde man überrascht. Auch hier war das Thema so gestellt, daß es rasch und einhellig verneint werden konnte: aber die Praxis des Jugendstrafrechts war damit an sich noch keineswegs schon aus dem Schneider. Der Kriminologe Prof. Pfeiffer aus Hannover, der Routine darin besaß, sich das Wort zu verschaffen, saß mit auf dem Podium. Er hatte (im jedenfalls zeitlichen Zusammenhang mit dem Hamburger Bürgerschaftswahlkampf 1997) ein Gutachten "Jugenddelinquenz und jugendstrafrechtliche Praxis in Hamburg" erstattet, das vom Senat zunächst geheimgehalten und dann in der Öffentlichkeit lebhaft diskutiert worden war. Es hätte hier auf dem Podium Anlaß zur vertieften Rückfrage und Debatten geboten. Aber der Moderator war mehr an Alternativen zum Strafrecht als diesem selbst und seiner Praxis interessiert, was der Sache hier nicht eben förderlich war. Kritische Stimmen, wie nach dem voraufgegangenen Forum eigentlich zu erwarten, brachten sich kaum zu Gehör.

c) Die Medien ein Zerrspiegel?

Auch die letzte Veranstaltung vom Anfang April war wieder gut besucht. Der Hamburger Presse wurde bescheinigt, daß sie insgesamt die polemische Themenformulierung natürlich keineswegs rechtfertige, im Gegenteil ..., unbeschadet einzelner Ausreißer. Die Rolle des Buhmanns und Wadenbeißers war, so schien es mir, eigentlich dem als Polizeikorrespondenten apostrophierten Herrn Ulrich vom Hamburger Abendblatt zugedacht worden. Aber er diente lediglich in der zuerst genannten Rolle und ging keineswegs zum Gegenangriff über, indem er etwa schlicht Einzelfälle aus der jüngsten Pressegeschichte aufblätterte und dartat, ohne die Presse wäre dies und jenes hübsch unter dem Deckel geblieben (ich persönlich bin überzeugt: bei gehöriger Vorbereitung auf dieses Forum wäre das leicht möglich gewesen). Auch in dieser letzten Runde gab es viele interessante Einzelheiten und Grundsatzerwägungen zu hören: Aber das ist alles ein viel zu weites Feld. ... Man komme, wie hier zum letzten Male bemerkt, künftig selbst und höre!

Günter Bertram