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Verwaltungsreform
made in Waldhagen

Nicht nur in der Frohen und Hansestadt Hamburg steht man auf dem Sprung ins 21.Jahrhundert - nein auch auf dem mehr oder weniger flachen Landes wird die Verwaltung reformiert. Wenigstens wird es versucht. Parallelen zum großen Nachbarn sind natürlich rein zufällig.

Wie immer beginnt alles mit dem Entschluß, mittels eines Sachverständigengutachtens den allen bekannten Zustand genauer kennenzulernen. In der vielen Lesern schon bekannten kleinen Stadt am Rande der Hansestadt beschloß der regierende Magistrat im Jahre 1994, das Unternehmen W. einzuschalten. Nichts Gutes ahnend verfolgten die Mitarbeiter des Rathauses das Treiben mit Mißtrauen. Interviews und Workshops folgten. Nach Monaten war es soweit - die Verwaltung arbeitet nicht effektiv, sie macht aber aus den vorhandenen Möglichkeiten das Beste, alle hassen den Bürgermeister und ihre Vorgesetzten. Die Kommunikation ist miserabel, das Betriebklima kaum zu ertragen.

Natürlich mußten diese Ergebnisse geheim bleiben, wie alles in dieser unserer Stadt. Ebenso selbstverständlich war alles am Tage nach der Übergabe des Gutachtens überall bekannt. Den nicht mehr so gespannten Kommunalpolitikern wurde das Gutachten in einer Präsentation nahegebracht - wie immer mit Overheadprojektor und schöner Grafik.

Man bildete eine Lenkungsgruppe, deren Aufgabe die "Umsetzung des Gutachtens" war. Wunderbar fand man die Vorschläge zur Straffung der Verwaltung, nicht so gelungen den Vorschlag, die Kommunalpolitiker sollten sich künftig ihre Ratspost selbst im Rathaus abholen, weil der Bote zu teuer sei. Wenig Anklang bei den herrschenden Roten und Grünen fand auch die propagierte Verringerung der Zahl der Ausschüsse. ROT wollte möglichst viele Ausschüsse, um vielen notleidenden Genossen die Möglichkeit zum Verdienen von Sitzungsgeldern zu geben. GRÜN wollte, wenn schon weniger Ausschüsse, dann doch mehr Mitglieder, um kleineren Parteien eine Verteilung der Arbeitslast zu ermöglichen. STATT Partei verstand die Aufregung nicht recht, fand aber die roten Vorschläge wie immer gut. SCHWARZ war für den Fortschritt und die Effektivität und plädierte für weniger Ausschüsse mit wenigen Mitgliedern. Der Bürgermeister warf "der Politik" vor, sie verzögere die Reform. "Die Politik" machte den Bürgermeister verantwortlich. Hurra, wir treiben Kommunalpolitik.

Nicht nur eine Lenkungsgruppe, sondern auch eine Arbeitsgruppe "Hauptsatzung" zur Änderung derselben wurde in Folge des Gutachtens eingesetzt. Auch diese drei Jahre nach dem Gutachten: ratlos und zerstritten. Jeder weiß, wer schuld ist.

Richtig zu Hause in Waldhagen konnte man sich aber erst fühlen, als der Magistrat mit dem Versuch begann, die Verwaltung in drei Fachbereiche neu zu gliedern und diese Fachbereiche zu besetzten. Die Chronologie der Ereignisse droht sich etwas zu verwirren, weswegen dringend die örtliche Presseschau zu Rate gezogen werden muß.

Zunächst wurde eine Findungskommission eingesetzt. Gefunden werden sollte nicht etwa auf Grund von Bewerbungen auf eine Ausschreibung - nein, nur Rathausmitarbeiter sollten sich bewerben. Man ließ seine Erfahrungen mit den Mitarbeitern Revue passieren und dachte sich das eine oder andere.

Die Findungskommission tagte unter Anleitung auswärtiger Experten. Man erarbeitete ein Anforderungsprofil und ein Punktesystem. Nun konnte gar nichts mehr schiefgehen - sogar die Gleichstellungsbeauftragte war zufrieden.

Der weiße Rauch stieg auf. Leider fand die Findungskommission nicht das Richtige - fand der Magistrat. Eine Frau als Leiterin des Fachbereiches Umwelt, Planen, Bauen hätte man ja noch ertragen, aber nicht diese! Leiter des Fachbereiches Soziales und Ordnung durfte unmöglich der derzeitig meistgehaßte überqualifizierte Sozialarbeiter und Schuldnerberater werden. Nur der Dritte ging durch. Großes Gezeter bei GRÜN! Ihr Sozialliebling übergangen - wo doch die Findungskommission! Der Personalrat tobte. Ihr Chef durchgefallen! Der Magistrat, durchaus zuständig für diese Personalentscheidungen, warf das Handtuch - die Ratsversammlung sollte entscheiden.

Man rieb sich allseits die Augen. Sollten nun die Personalakten in der Ratsversammlung diskutiert werden? Öffentlich ausgehängt? Nein, das denn doch nicht! Die Fraktionsvorsitzenden erhielten Einsichtsrecht in die Personalakten. Sie könnten ja den Fraktionsmitgliedern berichten. Nichts da, sagten die bei den SCHWARZEN! Der Magistrat soll entscheiden. Vergeblich. Mitgerissen von der neu gewonnenen, wenn auch nicht ganz rechtlich abgesicherten Gestaltungsmöglichkeit, wurde in der Ratsversammlung ein Beschluß gefaßt und die "Richtigen" bestimmt.

Die Unterlegenen drohten mit Klage und Schlimmerem. Vorsichtshalber holte der verschreckte Bürgermeister anwaltlichen Rat ein. "Alles rechtswidrig", schloß das teure Rechtsgutachten. Zuständig sei der Magistrat.

SCHWARZ frohlockte - das haben wir gleich gesagt - und fügte mitfühlende Worte für die genervten Ratshausmitarbeiter hinzu.

Wie man weiß, erledigen sich viele Probleme durch Todesfälle oder andere Ereignisse. Eine Kandidatin hat bereits das Handtuch geworfen. Sie zog die Kandidatur zurück. Ein weiterer hat sich in den Erziehungsurlaub zurückgezogen

Noch vor Weihnachten wurde wenigstens der unstreitige Fachbereich mit dem allseits geschätzten Kandidaten besetzt. Mehr war nicht möglich. Weihnachten ging es nicht. Im März waren erstmal Kommunalwahlen. Da hatten alle Parteien zu tun und niemand behelligte die Verwaltung. Nun hat eine ebenso ereignisreiche neue Legislaturperiode in Waldhagen begonnen. Damit kam die Lösung: Ein Vergleich! A verzichtet wegen jugendlichen Alters und verbleibender Nachrückerchancen zur Freude aller auf die Kandidatur. B verzichtet auf das Amt. C erhält das Amt. Alles unterliegt strengster Geheimhaltung, konnte aber am folgenden Tag in der örtlichen Lokalzeitung nachgelesen werden. Außer der politischer Korrektheit anhängenden Gleichstellungsbeauftragten, die sich sowieso ärgert, daß keine Frau im Spiel war, sind nun alle zufrieden. Natürlich ist der dritte Fachbereich noch nicht besetzt, Ordnung und Soziales. Der einzig verbliebene Kandidat hierfür hat Probleme mit einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, das nach Zeitungsberichten schon 100 Seiten umfassen soll und Sozialmißbrauch zum Gegenstand hat. Cherchez la femme - das gibt es auch in Waldhagen.

Karin Wiedemann